Mittwoch, 20. Dezember 2006
Moral
"Überall auf der Welt teilen Menschen offenbar gleiche Intuitionen von Werten wie Fairness, Verantwortung oder Dankbarkeit. Jemanden mit Absicht zu verletzen etwa gilt in allen Kulturen als viel schlimmer, als wenn dies ohne Absicht geschieht.

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Jeder Einzelne besitzt mit der moralischen Urteilskraft eine bemerkenswerte Eigenschaft, die neue Gründe liefert, das Menschsein zu achten." Das klingt wie bester Humanismus, allerdings auf evolutionärem Fundament."
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Wir* nennen es Das Licht Christi. Wir glauben, das es jedem Menschen gegeben ist und das es jedem hilft, Gut von Böse zu unterscheiden. Ich glaube, dass man über Das Licht Christi einen Eimer stülpen kann, in dem man fortwährend gegen seine innere moralische Überzeugung handelt. Irgendwann hat man dann Ruhe vor seinen Skrupel.

* Mitglieder der Kirche Jesu Christi, der Heiligen der Letzten Tage.

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Herr Götzeclan, vorweg gebührt Ihnen Dank für den Wiederbelebungsversuch des Blogs Religionsfreiheit. Im erwähnten Spiegel-Online-Artikel lese ich:

"Führerlos rast ein Zug auf die fünf Gleisarbeiter zu. Eine Möglichkeit, ihren sicheren Tod zu verhindern, wäre, den Zug in letzter Minute aufs andere Gleis zu leiten. Doch auch dort arbeitet ein Mensch, wenngleich nur ein einzelner. Ist es richtig, die Weiche umzustellen? - Und was, wenn ein dicker Mann auf einer Brücke direkt über dem Bahndamm stünde? Sein schwerer Körper würde den heranrasenden Zug aufhalten, die fünf Gleisarbeiter wären gerettet. Wäre es richtig, den Mann zu schubsen?"

Eine umgestellte Weiche kann den Zug entgleisen lassen und Dutzende in den Tod reißen, Gleisarbeiter sind auf spontan heranrollende Züge vorbereitet und auch ein dicker Mann vermag einen Zug nicht aufzuhalten. Glücklicherweise gibt es andere Dilemma-Geschichten, an denen manche ihre ethischen Vorstellungen glauben schärfen zu können.

Einmal abgesehen davon, daß Passivität wahrscheinlich die wenigsten Todesopfer nach sich zöge, ist das Ergebnis der Befragung nicht verwunderlich. Den meisten Menschen fällt es schwer, einen anderen aktiv und spontan als unmittelbare Folge eigenen Handelns zu opfern, auch wenn es vielen Menschen das Leben rettete. Eher würden sie sich selbst in den Tod stürzen.

Das und die Erklärungen aus dem Artikel verwundern mich nicht, da ich schon Jahrzehnte glaube, daß alle geisttriefenden Überlegungen falsch sind oder eine einfache Basis haben. Ich will nicht gerade sagen, alles sein angeboren, denn einiges entspringt Übereinkünften, folgt ökonomischen Gesichtpunkten oder ergibt sich wie von selbst. Und ich bin ganz sicher, daß selbst größte Philosophen ihr veraltetes Gefasel gegen moderne Erkenntnis eintauschten würden.

So fällt es mir leicht einzusehen, daß der normale Mensch keinen anderen ohne ausreichendes Motiv ums Leben bringt, woraufhin sich diese Vorstellungen nicht nur im christlichen Glauben und unserem Rechtssystem niederschlugen, denn es ist auch in sehr großen Gemeinschaften von Individuen ohne übermäßigen äußeren Druck eine sinnvolle Maxime. Lebten wir wie die Ameisen oder Bienen, stürzten wir uns hemmungslos in den Tod, ließen die Männer nach der Begattung verenden und empfänden dabei nicht die geringsten Skrupel, aber auch keinen Schmerz.

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Ich denke, das Beispiel mit der Weiche will herausfinden, ob eine rationale oder eine emotionale Entscheidung bevorzugt wird.

Mich würde interessiert, welche Entscheidung die Leser hier bevorzugen, die von sich sagen, dass sie eher rational als emotional sind. Ich glaube, die eher rationalen Menschen werden in dieser Entscheidung emotional handeln (was keine von beiden Entscheidungen "besser" macht als die andere)

Wie stehts? Wollen mir die Leser die Freude machen und was dazu sagen?

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Auf keinen Fall
würde ich den Versuch machen, den dicken Menschen aufs Gleis zu schubsen. Nicht nur wegen der Tötungshemmung, sondern schon allein aufgrund der folgenden Überlegung: Wenn die Masse dieses Menschen ausreicht, um einen Zug aufzuhalten, wie ich soll ich den Herrn oder die Dame denn dann bitte schön aufs Gleis bringen? Habe ich etwa mehr Kraft als ein Zug?

Die Frage mit der Weiche ist nicht so einfach - hängt sie doch auch von der Geschwindigkeit ab. Ist der Zug zu schnell, besteht die Gefahr, dass er an der Weiche entgleist und noch mehr Menschen umkommen. Also im Zweifelsfall auch hier die Finger davon lassen.

Emotional oder rational, das sind Kategorien, die in Extremsituationen wenig Bedeutung haben. Emotional gesteuert hätte ich damals beim Wohnungsbrand im Haus meiner Eltern vielleicht nochmal versucht, meinen Vater eigenhändig da rauszuholen. Rational betrachtet wäre das ein Selbstmordkommando gewesen. Leider ist dieses konkret erlebte Beispiel aber nur bedingt geeignet, Anschauungsmaterial für eine meta-moralische Debatte zu liefern.

Was ich damit sagen will: Mit solchen praxisfremden Fiktiv-Dilemmata kommt man meines Erachtens der grundlegenden moralischen Grammatik nicht wirklich auf die Spur.

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Herr Götzeclan, da Sie mit dem gleichen Nachdruck wie wohl auch die im Artikel genannten Wissenschaftler vom Leser oder Probanden eine Entscheidung verlangen, obwohl ich ihnen allen zutraue, im gleichen Atemzug gegen die vermeintlich zweiwertige Logik zu Felde zu ziehen:

Ich hätte die Weiche umgestellt, weil ich selbst ein dicker Mann bin und einen Zug auch dann nicht aufhalten könnte, wenn ich mich geschickt ins Radlager würfe. Als großer Weichensteller muß ich hoffentlich nur kurze Zeit wegen Mißbrauches einsitzen, denn der einzelne Arbeiter bemerkt den Zug noch rechtzeitig. Er steht nämlich abseits der Gruppe mit der einzigen Aufgabe, vor heranrollenden Zügen zu warnen.

Vor die A-B-Entscheidung gestellt, habe ich also mit der Weiche die Mehrheitsvariante gewählt. Mehr noch verwundert es mich, daß immer noch 15 Prozent so schwachsinnig sind, sich für den dicken Mann zu entscheiden. Was ein Glück, daß ich nicht auf Brücken herumstehe und meinen Mitmenschen im Ernstfall keine Zeit zum Nachdenken bleibt.

Ich höre es schon: Das sollte doch nur ein Beispiel sein! Deshalb würde ich lieber folgende Fragen diskutiert wissen: Ist das von uns allgemein als moralisch angesehene Verhalten angeboren, weil es der Arterhaltung dient? Warum dauerte es trotzdem so lange, bis es sich im zivilisierten Teil der Welt durchsetzte? Und hat diese Gesinnungsethik schon nach kurzer Zeit ausgedient, weil sie auf das Individuum und sein dörfliches Umfeld hinaus angewendet deutliche Schwächen zeigt?

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