Samstag, 8. Juli 2006
Kopftuchstreit
Das Kopftuch als Symbol religiös motivierter Repression? Kann man auch anders sehen. Aber wie auch immer: Jauchzen und frohlocken dürfte die konvertierte Muslimin, die in einem Rechtsstreit mit dem Land Baden-Württemberg obsiegt hat. Unter Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz konnten die Richter der Dame nicht verwehren, ihr religiöses Bekenntnis auch in der Schule per Kopftuch zu kommunizieren, solange an öffentlichen Schulen auch katholische Nonnen im Ordens-Habit unterrichten. Der Einwand der Klägerseite, bei der Ordenstracht handle es sich lediglich um Berufskleidung, stieß indes in Kirchen- und Klosterkreisen auf geharnischten Protest. Von daher nicht verwunderlich, dass die Richter in Stuttgart dieses Argument nicht gelten ließen.

Ich stelle diesen Beitrag auch als Anknüpfungspunkt an die extensive Debatte zum vorigen Posting ins Netz, denn das ewige Scrollen ans Ende des Threads ermüdet allmählich. Wer zu dem Punkt Frauen und Priesterschaft oder anderen angesprochenen Aspekten noch etwas beisteuern möchte, kann dies also gerne hier tun. Danke für die Aufmerksamkeit!

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Herr Mark, guter Post!
Ich frage mich gerade worüber sollen wir diskutieren? Über ein Bekenntnis von Frauen zu ihrer Religion oder zum Hintergrund des Bekenntnisses - der Religion an sich mit frauenfeindlicher oder frauenfreundlicher Haltung. Zwingend drängt sich noch die Frage nach gesellschaftlicher Sicht diverser äußerer Bekenntnisse auf.

Persönlich finde ich nichts dabei wenn mein Nachbar von Gegenüber mit der Kippa auf der Strasse zu sehen ist, ebenso wenig wenn die Lehrerin meiner Tochter Muslime wäre und ein Kopftuch tragen würde bzw. wenn der Schalterbeamte in der Bank ein Kreuz um den Hals trägt.

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Ich wollte die potenzielle Debatte
nicht von vornherein eingrenzen. Wenn Herr Wuerg et. al. beispielsweise gerne noch am vorigen Thread angeknüpft hätte, nur zu. Ansonsten auch gerne zu den Fragen, die das öffentliche Zuschaustellen eines religiösen Bekenntnisses so mit sich bringt.

Ich für mein Teil empfinde den Stuttgarter Urteilsspruch als ziemlich salomonisch. Wer sich an einer kopftuchtragenden Lehrerin stört, möge bitte schön auch Nonnen im Unterricht ihren Habit verbieten. Ansonsten kann ich die öffentliche Erregung über Kopftücher nicht nachvollziehen. Größeren Widerspruch zur verfassungsmäßigen Trennung zwischen Kirche und Staat sehe ich auch nicht, wenn eine Lehrerin im Kopftuch aufläuft oder ein Pfarrer, der an einer staatlichen Schule Religionsunterricht gibt, dies in Soutane tut. Das sind individuelle Bekenntnisse, die nicht per se im Widerspruch zu den Aufgaben eines Beamten oder Staatsbediensteten stehen.

Anders verhält es sich bei Kruzifixen an Klassenzimmerwänden. Die haben da meines Erachtens nichts verloren, zumindest in staatlichen Schulen und Kindergärten.

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Ich bin multitaskingfähig und verliere alte Diskussionen nicht aus dem Auge. Aber zum Thema:

Ich habe weder etwas gegen die Nonnentracht, noch gegen Kopftücher, auch als Zeichen religösen Bekenntnisses, wenn sie für Paßbilder zugelassen sind, also Gesichtserkennung zulassen. Gleiches gilt für Gesichtsbemalung und -behängung. Überschritten ist meine Grenze bei Bikinis, Kampfanzügen oder Sehschlitzen.

Nicht aus religiösen, sondern aus sozialen Gründen bin ich aber für Schuluniformen, sowohl für Schüler als auch für Lehrer. Deutsche Polizisten können ja auch nicht mit Turban oder Dolch im Gewande rumlaufen. Oder doch?

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Die individuellen Bekenntnisse stehen in einem Kontext, der es schwer macht, sie einfach als "individuell" stehenzulassen. Zumal Lehrer-/innen eine besondere Verantwortung tragen und die individuellen Bekenntnisse daher besonders abzuwägen sind. Da es leider einem Großteil der muslimischen Frauen nicht frei steht zu entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen wollen oder nicht, ist es für mich durchaus ein Symbol der Repression. (Da sehe ich auch die Verwandschaft zur vorhergehenden Diskussion.) Dieser Zwang reicht vom Kopfbedecken bis zur Burka. Im Unterschied dazu wüsste ich in der Neuzeit nicht von einer größeren Anzahl von Ordensschwestern, die gezwungen wurden, in einen Orden einzutreten. In der Regel basierte dies auf ihrer eigenen Willensentscheidung. Daher kann man beides in meinen Augen nicht ganz miteinander vergleichen. Abgesehen davon verstehe ich das Urteil des Gerichtes, würde aber als empfehlenswerte Konsequenz tatsächlich sehen, alle religiösen Symbole aus den Schulen zu verbannen.

PS: Ist die Lehrerin, welche nun jenen Rechtstreit gewann, eigentlich dieselbe, die von Islamiten nahestehenden Kreisen gesponsort worden sein soll? Ich erinnere mich da leider nur noch vage an diesbezügliche Geschichten in den Medien vor einigen Jahren. Aber vielleicht erinnert sich Herr Mark noch besser.

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Nein, im Stuttgarter Fall
geht es um eine Konvertitin, die eher nicht den Eindruck macht, von Fundamentalisten ferngesteuert zu sein.

Dass in vielen Fällen muslimische Frauen keine andere Wahl haben als Kopftuch zu tragen, mag schon sein. Aber nun gibt es halt auch Glaubensgenossinnen, die sich hinstellen und behaupten, es sei ihre eigenständige Entscheidung und nachgerade Ausdruck ihrer Identität. So einfach und schwarzweiß ist es also nicht dem Kopftuch.

Und noch eins: Die Entscheidung einer katholischen Frau, einem Orden beizutreten, Gelübde abzulegen und sich einer Ordensregel zu unterwerfen, mag in der Regel eine freiwillige sein. Aber dann bliebe trotzdem zu fragen, ob ihr weiteres Tun und Lassen nach den Ordensregeln noch auf Freiwilligkeit beruht oder stattdessen dem psychologischen Zwang innerhalb eines starren und repressiven Ordenssystems geschuldet ist. Wohlgemerkt, ich will diese Dinge nicht gegeneinander ausspielen. Ich will damit nur sagen, dass es nicht Sache des Staates ist, allzuviel am Symbolgehalt von ein paar Stofffetzen rumzudeuteln.

Davon abgesehen würde ich es auch lieber sehen, religiös aufgeladene Symbole würden aus den Schulen draußen bleiben...

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Da gebe ich Ihnen absolut recht. Um die Freiwilligkeit der Lebensentscheidungen in der Katholischen Kirche ist es auch nicht gut bestellt. Und natürlich gibt es Frauen, gerade auch in unseren Breitengraden, die das Kopftuch tragen, weil es ihnen ganz persönlich wichtig ist. Das ist zu respektieren. Aber leider gibt es auch viele andere, und auch viele, die das Kopftuch als Symbol intrumentalisieren. Dies bildet für mich den Hintergrund, vor dem ich es in Schulen lieber nicht sähe. Genauso wie die anderen Symbole auch. Hier hat mich das Urteil auch zum Nach- und Umdenken angeregt, denn an die christlichen Symbole ist man einfach gewöhnt und sieht dann nicht mehr das, wofür sie auch stehen können. Nicht zwangsläufig müssen, aber es leider auch manchmal tun.

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Frau Schlüsselkind, in Ihrer Aussage …muslimischen Frauen nicht frei steht zu entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen wollen oder nicht… liegt unser gesellschaftliches Kernproblem. Es ist prinzipiell falsch anzunehmen dass muslimische Frauen durchwegs gezwungen werden Kopftücher zu tragen. In vielen Gesprächen mit Muslim – Frauen die in Deutschland leben hat mir keine dieses Vorurteil bestätigt. Muslime die kein Kopftuch tragen sind in ihrem Glaubensbekenntnis nicht weniger intensiv als ihre Kolleginnen. Ich finde dieses medial vermittelte Bild mehr als nur Fragwürdig, selbst wen es gesellschaftlich akzeptiert ist mit Viertelwissen über eine Religion Aussagen zu treffen. Was allerdings nicht heißen soll, dass ich dem Islam in seiner Gesamtheit – hier speziell dem islamischen Frauenbild – positiv gegenüber stehe, wie auch keiner anderen Eingeschlechtsdominierten Religion.

Schulen und Religionsbekenntnisse: Aus unserer Kultur ist Religion nicht wegzudenken und aus diesem Grund muss und soll den Kindern das Weltbild aller uns betreffenden Glaubensrichtungen vermittelt werden. Wenn sich die Forderung nach religionsfreien Unterricht durchsetzt, so darf aber auch kein Philosoph mehr im Unterricht genannt werden. Ich bin Ihrer Meinung das Kruzifixe aus den Klassen verschwinden sollen und als Ersatz ein religionsübergreifender Unterricht angeboten wird. Aus eigener Erfahrung bin ich der Überzeugung wenn Kindern in den Schulen (auch von den Eltern) die Unterschiede erklärt werden und zwar soweit wie möglich wertfrei, kann es nur zum besseren Verständnis untereinander führen. In der Klasse meiner Tochter sind zwei „privilegierte“ muslimische Mädchen von streng gläubigen Eltern. Keiner dieser Mädchen mit Kopftuch wird von den Kindern anders behandelt, sie werden zu Geburtstagsfesten eingeladen wie Freundinnen es eben tun. Das gegenseitige Austauschen lehrt die Kinder Verständnis und nicht per se Ablehnung in irgendeiner Richtung. Das Problem für die zukünftige Generation sind wir die uns hinter der Angst verstecken.

Nachtag

Frau Schlüsselkind, habe Ihren zweiten Kommentar eben erst gelesen :--))

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Das beruhigt mich, Herr Nicodemus, denn ich dachte schon, dass ich mich so undeutlich ausgedrückt habe. Natürlich gibt es, nicht nur, aber auch im Westen, Frauen, die diese Entscheidung für sich treffen und das Kopftuch tragen wollen. Ich achte und respektiere das. Es gibt aber leider auch viele andere, die dies nicht dürfen. Bitte verzeihen Sie mir meine einer bedauerlichen Reizüberflutung durch Schnell-Lesen geschuldeten Vergeßlichkeit und daher Ungenauigkeit, denn sonst würden mir die Namen zweier sehr interessanter Frauen einfallen, die in Interviews über ihren Glauben (Beide sehr gebildet, sehr gläubig, eine war überzeugte Kopftuchträgerin, die andere nicht; eine war eine hochrangige Beamtin bei der UNO, die andere eine bekannte Schriftstellerin) und den Zwang zum Kopftuch in ihren Herkunftsländern sprachen. Jeder sollte das so leben dürfen, wie es seinem Glauben entspricht. Aber solange Mädchen in einer Schule in Saudi-Arabien verbrennen, weil die Religionswächter sie unverschleiert nicht aus dem Gebäude lassen, solange ist das Kopftuch für mich ein Symbol, das an einer Lehrerin nichts zu suchen hat. Das mag zu simpel sein, aber den Kontext kann ich einfach nicht ausblenden.

Bei Ihrem zweiten Absatz stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Religion ist ein Teil unserer Kultur und hat ja auch gute Seiten ;-) Es wäre eine wunderbare Sache, Kindern die Inhalte von Religionen so nahezubringen, dass sie ein eigenes, freies Verständnis dafür entwickeln und das Wertvolle für sich herausziehen können und dabei Verständnis und Respekt für Andersartigkeit lernen können. Ihr letzter Satz, Herr Nicodemus, ist sehr schön. Angst und Ausgrenzung sind zwei schlimme Geschwister.

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Sie haben schon Recht Frau Schlüsselkind, mit der Feststellung das es viele muslimische Frauen gibt die chancenlos sind ein eigenes Leben zu führen, nur möchte ich das nicht auf ein Kopftuch festlegen.

Dazu fällt mir die Geschichte einer Freundin ein die Muslime ist. Ab dem Alter von 9 Jahren musste sie auf Wunsch der Eltern ein Kopftuch tragen. Sie durfte die mittlere Reife machen und hat dann einen Lehrberuf ergriffen, schaffte die Lehre zeitverkürzt um ein Jahr, musste natürlich zu hause wohnen unter den gestrengen Augen der Eltern und Brüder. Ich schreibe hier bewusst „Eltern“, die Mutter war ein größerer Verfechter heimatlicher Traditionen als der Vater, dieser hatte ja auch im Gegensatz zu seiner Frau Kontakt zur europäischen, sprich deutschen Außenwelt. Sehr zur Freude von H. machten ihre Eltern vorerst keinen Druck sie zu verheiraten und ihr war auch klar das sie keinen Mann mit nachhause bringen konnte, selbst wenn er Muslime gewesen wäre um ihn als Ehemann vorzustellen. Als sie nach dem 24. Geburtstag außerhalb der sonst üblichen Familienreisezeit in die elterliche Heimat aufbrechen musste ahnte sie was kommen würde. In einer nordafrikanischen Stadt wurden ihr zwei „Cousins“ aus dem zweiten mütterlichen Verwandtschaftsgrad vorgestellt und sie hatte zwei Tage Zeit sich zu entscheiden. Ohne Pathos kann man sagen das sie zwangsverheiratet wurde zum Preis weiter in Deutschland leben zu dürfen, natürlich mit Ehemann. Dieser aufgezwungene Ehemann erwies sich in einem Punkt jedoch als liberaler als ursprünglich geglaubt – H. musste kein Kopftuch mehr tragen. Das war`s aber auch schon. Ihren Beruf musste sie aufgeben, das Haus nur mehr unter Aufsicht verlassen und auf den Mann zuhause warten der innerhalb eines Jahres mehrere Nachkommen zeugte, mitunter auch eines seiner Frau. Heute, der Ehemann lebt in Frankreich und sie arbeitet wieder um seine Schulden bei der eigenen Familie zu bezahlen.

Ich muss mal H.s Geschichte aufschreiben und posten.

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Nehmen wir einmal keine Frau, sondern einen Mann, nehmen wir keinen Moslem, sondern einen christlichen Heiden, dann natürlich auch kein religiöses Motiv, sondern eine Alltagmacke, und schließlich auch keinen Lehrer, sondern einen Schüler: Mit welchem Recht, nach welcher Tradition sitzen Rotzbengel mit Mützen oder Sonnenbrillen im Unterricht, wenn es nicht gerade Sport im Hochsommer ist?

Wenn Mützen, Zierdecken und Sonnenbrillen für Männer und Jungen in geschlossenen Räumen sowie für Frauen und Mädchen in Schulräumen weiterhin grundsätzlich nicht erlaubt oder geduldet würden, dann gäbe es auch kein Problem, mit den einem Prozent an Ausnahmen: Sonnenbrille gegen Lichtempfindlichkeit, Mütze im Baseball-Unterricht und Kopftuch in besonders hartnäckigen religiösen Fällen.

Für muslime Schülerinnen sollte ein Kopftuch erlaubt sein, um sie nicht in weitere Konflikte zu stürzen. Lehrerinnen aber müssen vor Beginn ihrer Ausbildung wissen, daß nicht nur die anderen Berufe Einschränkungen mit sich bringen. Dazu gehört eben auch eine Kleiderordnung. Es ist zwar blöd, daß wir in Schulen andere Verkleidete beschäftigen und Kruzifixe an die Wand schlagen, doch ist das kein Grund zur Zulassung neuer Ausnahmen, sondern zur Abschaffung der alten.

Wäre die Normalität klar und gäbe es nicht traditionsreiche Ausnahmen, würde ich kein Problem sehen: Sonnenbrille, Mütze und Nasenring nur mit Attest im Normalunterricht. In katholischen Schulen und im katholischen Religionsunterricht gerne Nonnen und Mönche. Auch Kruzifixe an der Wand wie Landkarten im Erdkundeunterricht. Im Islam-Unterricht gelten analoge Regeln, zumindest für die Verkleidungen.

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Da mir Diskurse über lebendige Dinge und Sachverhalte lieber sind als das wühlen und verrenken in grauer Geistesmaterie…eine Frage Herr Wuerg. Lehrerin mit Kopftuch (also automatisch Muslime) unterrichtet Mathematik und Musik mit Erfolg und Durchsetzungsvermögen in einer Hauptschule. In welcher Form ist diese Lehrerin ideologischer (im Sinne der/einer Religion) als ihre, ebenfalls mit Kopfbedeckung unterrichtende katholische Kollegin im Mädchengymnasium?

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Zunächst meine Antwort auf die gestellte Frage: Eine mit Kopftuch Mathematik und Musik unterrichtende Lehrerin ist nicht automatisch Moslem, schon gar nicht ein gläubiger, auch nicht in der Hauptschule. Und möglicherweise ist sie weniger ideologisch verblendet als so manche mit Kopfbedeckung unterrichtende katholische Kollegin, selbst einer am Mädchengymnasium. Und ich füge hinzu: Sie kann durchaus verständnisvoller denjenigen gegenübertreten, die ihr wegen ihrer Kopfbedeckung mit Ablehnung begegnen.

Doch was haben wir von dieser Antwort: Wieder eine Möglichkeit geklärt, wieder versucht an einem Extremfall die Ausnahme zu verstehen, um durch sie die Normalität zu ordnen? Ja, für mich sind das Ablenkungen, die sich bedeutend geben, weil sie von lebendigen Dingen und Sachverhalten, in diesem Falle sogar von Menschen handeln, während auf der anderen Seite nur der graue Geist steht, mit dem einige bestraft wurden. Es gibt so eine Art natürlicher Überheblichkeit der berühmten menschenfreundlichen Praktiker vor den eiskalten Theoretikern. Ein Thema, das ich schon immer einmal vorstellen wollte.

Meine inhaltliche Position war hoffentlich klar: Im Unterricht sollten Schüler wie Lehrer vorwiegend normal gekleidet sein. Dann ist die eine oder andere Ausnahme kein Problem. Am leichtesten geschieht dies durch Schuluniformen für Schüler und Lehrer. Nicht wegen seltener religiöser Probleme, sondern zur Förderung der sozialen Gleichheit, zumindest für den Bereich einer einzelnen Schule. Die zunehmende Verdrängung der Normalität durch eine Ansammlung von Besonderheiten ist ein weiteres Thema, das ich ebenfalls gesondert diskutieren möchte.

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„Eine mit Kopftuch…. unterrichtende Lehrerin ist nicht automatisch Moslem“ das ist vollkommen richtig! Dennoch würden 99,4% sofort eine Muslime vermuten – keine Besonderheit vielmehr Normalität.

„Wieder eine Möglichkeit geklärt, wieder versucht an einem Extremfall die Ausnahme zu verstehen, um durch sie die Normalität zu ordnen?“ Herr Wuerg, die Frage ist weder ein Extremfall noch eine weit verbreitete Normalität. Mein Anliegen ist die medial verbreiteten Vorurteile und das damit entstehende Schubladendenken aufzubrechen bzw. bei denkenden Menschen zu hinterfragen. Unsere gesamte europäische Kultur und Errungenschaften sind ein einziges Mischmasch verschiedenster Einflüsse, auch und besonders aus dem ehemaligen arabischen, maurischen und osmanischen Herrschaftsgebieten.

Ihre Befürwortung einer Schul - Uniformierung kann ich nicht ganz von der Hand weisen, möchte jedoch zu bedenken geben das damit grundlegende Probleme nicht gelöst sind. Eine Gleichförmigkeit nach außen löst keine injizierten Konflikte im Denken und Handeln. Soziale Unterschiede werden zwar abgeschwächt, verlagern sich aber nur nach hinten.

„Die zunehmende Verdrängung der Normalität durch eine Ansammlung von Besonderheiten…“ Interessante Betrachtung!
Besteht nicht die „Normalität“ aus einer Ansammlung von „Besonderheiten“? Ich sehe in diesem Fall (in menschlicher Normalität) keine Möglichkeit eine einzig (berechenbar) gültige NORM zu finden. (Mao und andere haben es versucht) Ebenso wie die Auslegung eines Glaubensbekenntnisses von einem zum andern Gläubigen unterschiedlich ist. Noch ist Gott keine mathematisch erklärbare Norm und dass es so auch nicht sein wird zeigt die Unterschiedlichkeit von allem Irdischen. Wobei ich zugeben muss das meine philosophische Anschauung dazu aus der zeit vor genetischer Manipulation stammt.

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Herr Nicodemus, ich befürchtete schon, Sie hätten Ihre Antwort dauerhaft zurückgezogen. Jetzt ist sie ergänzt wieder da, meine Antwort aber bereits fertig, weshalb ich auf den Rest später gesondert eingehen werde.

Nachdem Ihr Blog ein Jahr alt wurde, habe ich es erstmals richtig zur Kenntnis genommen und mit Ihrem Namen in Verbindung gebracht. Es ist meine Eigenart, einfach die Beiträge und Kommentare zu lesen und manchmal auch zu antworten, ohne mich zunächst über die Lebenssituation oder auch nur das Geschlecht sachkundig zu machen. Nun aber habe ich Ihren Geburtstagsbeitrag gelesen und auch ihre Kindheitsgeschichte davor. Insofern verstehe ich die Angst, von einer Mehrheit oder auch nur einer herrschenden Schicht niedergemacht zu werden.

Aber darum geht es zumindest mir hier nicht. Ich widersetze mich ledigllich der Versuchung, alles als Sammelsurium von Ausnahmen zu betrachten. Ich verstehe die Ausnahmen von der Regel her, in der zumeist gar keine zu diskriminierenden Menschen vorkommen. Das damit verbundene Ordnen, Gliedern und Klassifizieren ist kein Schubladendenken, das ich mir aber in weniger ernsthaften Überlegungen auch gerne einmal gestatte.

Auch auf Kulturen, Nationalitäten, Sprachen, Religionen und Weltanschauungen bezogen ist der Blickwinkel von der Normalität her zumindest nicht vollkommen wertlos, zumal sie nicht unbedingt mit Meinung und Praxis der Herrschenden im Einklang stehen muß. Und als Vertreter einer Minderheit ist man auch nicht immer gut beraten, sich auf die Sicht und Solidarität anderer Randgruppen zu verlassen. Deren Schubladen sind nämlich auch nicht ohne.

Zurück zum Kopftuch: Ich würde es gestatten, weil es eine Ausnahme ist und bleiben wird. Eine diesbezügliche Kleiderordnung ist erst dann möglich, wenn auf die Dauer alle sich ihr unterwerfen. Schuluniformen lösen nicht sämtliche Ungleichheiten auf, doch befreien sie die Schüler vom energieraubenden Zwang, durch überteuerte modische Markenkleidung mitzuhalten.

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Ich muss schon zugeben, bei manchen Diskussionen wechselt meine sonst übliche Coolness in Leidenschaft, leider! Da ich es auch bei Mitmenschen nicht unbedingt gutheiße negative Erfahrungen unsachlich vor sich herzutragen, war der Entschluss das pathetische Schlusswort zu entfernen und sachlich zu bleiben logische Konsequenz.

Ein guter Freund und „Leidensgenosse“ aus Kindertagen erklärte Kindheitserfahrungen folgendermaßen: Kindheit ist ein Eimer mit klebriger Substanz der über einem ausgegossen wird, manches fließt bis zum Boden und manches bleibt kleben. Das, was kleben bleibt macht auch etwas sensibler und ich hoffe auch umsichtiger.

Herr Wuerg, es ist nicht zwangsläufig Angst vor der Mehrheit die mich für „Minderheit(en)“ eintreten lässt. Eine Minorität hat nicht unbedingt das Recht einer absoluten Sonderstellung. Vielmehr geht es mir um, wie Sie bereits mal erwähnten „Meinungskumpanei“ die viel zu oft anzutreffen ist. Aussagen von Meinungsmachern werden zu gern als Richtig übernommen.

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Herr Nicodemus, ohne mich nun selbst der Meinungskumpanei anheischig zu machen, freue ich mich darüber, daß sie Ihnen auch nicht gefällt, sei es die der Mehrheit oder einer Minderheit. Ich bezog sie vor allem auf Wortwechsel, wie sie auch in Blogs anzutreffen sind. Für meinen Geschmack zu oft sehe ich plattes Einverständnis, fast schon Balzverhalten. Doch zurück zum noch unbeantworteten Teil Ihres vorletzten Kommentares:

Sie zitieren meine Worte, eine mit Kopftuch unterrichtende Lehrerin sei nicht automatisch Moslem, mit der Ergänzung, daß dennoch 99,4% sofort eine Muslime vermuten würden. Dem stimme ich zu, und ich schrieb es nur, weil ich den Eindruck hatte, ich solle auf das Gebiet der 0,6 Prozent gelockt werden.

Zum Reizwort Extremfall antwortete ich bereits. Bleibt noch Ihr drittes Zitat meiner Befürchtung oder Beobachtung, die Normalität würde zunehmend durch eine Ansammlung von Besonderheiten verdrängt. Gerne streite ich mich darüber. Vielleicht ist die Realität ganz anders, oder ich sehe nur den negativen Aspekt der Diversifizierung. Was aber bleiben wird, ist mein Bedürfnis, das Ganze vom Gemeinsamen her zu verstehen, wodurch auch die Grenzen und Ausnahmen klarer erscheinen.

Nicht überlesen habe ich auch Ihre Anspielung auf Mathematiker, die tatsächlich allgemeine Zusammenhänge begreifen wollen und dennoch mit unerbittlicher Konsequenz Grenzen, Ausnahmen und Besonderheiten nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Auch Physiker glauben fest an allgemeingültige Gesetze der Natur, die an allen Ecken und Enden anders aussehen mag, dennoch nicht für jeden Aspekt andere Grundlagen benötigt. Auch Gott sehe ich ähnlich zeitlos. Er paßt sich keiner Minderheit an, aber auch nicht der Mehrheit.

Und wenn ich das mit der "genetischen Manipulation" richtig interpretiere, so will ich es einmal nicht weiter ausbreiten, jedenfalls nicht hier. Wahrscheinlich ohne direkten Vorsatz haben Sie mich damit aber als Mitglied einer Randgruppe erwischt, die beständig unter dem Fehlurteil der normalen Mehrheit leidet, Naturwissenschaftler wollten alles verstehbar, meßbar und beherrschbar machen.

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"Das Kopftuch als penetrantes und auch verlogenes Symbol für die Frau als Dulderin mag ganz und gar nicht nach unserem Geschmack sein, die Glatze aber ist ein noch viel unausstehlicheres und hässlicheres Symbol, ..." [1]

Leider meint Joseph von Westphalen nur die Skinhead-Glatze und natürlich nicht das Hausfrauen-Kopftuch. Geschickt hat er auch die Wörter "penetrant" und "verlogen" untergebracht. Wenn die Gesinnung genehm ist, dann gehen sie auch durch. Ebenso die längliche Überschrift "Arabische Wirte, türkische Grünhöker oder deutsche Autoschrauber: Wer braucht einen Integrationstest?" Ein erneutes Beispiel für den Aufstieg des Wortes "brauchen".

[1] Joseph von Westphalen in Chrismon 07/2006 auf Seite 48

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Die Skinhead-Glatze
ist genausowenig ein eindeutiges Fascho-Symbol wie das Kopftuch nur die Frau als Opfer des Patriarchats symbolisiert. Soviel mal vorneweg. Und: Wer braucht eine so unsinnige Gegenüberstellung zweier Übel, die nicht mal direkt miteinander zu tun haben?

Aber jetzt, wo Sie das Heft erwähnen, muss ich gestehen, dass ich Chrismon schon ein wenig vermisse, seit zum Jahresanfang unser Zeit-Abo endete...

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Der Beitrag in Chrismon fiel mir nur als ein Beispiel verbreiteten Gesülzes auf, dem man Pauschaldarstellungen von Freund und Feind durchgehen läßt. Meine Art reizt eher zum Gegenteil. Soll sie auch.

Für Chrismon reicht es, die Frankfurter Rundschau zu lesen. Die Zeit muß man sich deshalb nicht antun. Ich persönlich mag keine Zeitungen, die französische Zitate nicht übersetzen. Oder hat sich das in den letzten dreißig Jahren geändert?

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Der "SZ" liegt "Chrismon"
auch bei, wenn ich mich recht entsinne. Aber Tageszeitung fehlt mir nicht wirklich, da ich das tagesaktuelle Geschehen eher per Hörfunk und Internet verfolge. Für die "FR" schreibe ich alle paar Jubeljahre mal was, aber zu selten, um ein Mitarbeiterabo zu bekommen. Beim "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" (dem Vorgänger von "Chrismon", wenn man so will) war ich Anfang der 90er öfters vertreten, wie auch bei der "Zeit", wo ich meine Manuskripte stets komplett in deutscher Sprache abliefern durfte. Der Bildungsdünkel der alten Tante hat spürbar abgenommen. In den letzten Jahren hat sich da einiges zum besseren verändert.

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Herr Mark793, ich hoffe, Sie heißen in Wirklichkeit nicht Joseph von Westphalen.

Es war wohl nie verboten, durchgängig deutsche Artikel in der Zeit zu schreiben, aber auch erlaubt, französische Zitate unübersetzt zu lassen.

Ich glaube, Chrismon liegt einigen Zeitungen bei, aber die FR kostet mich nichts.

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Ich habe die fragliche Ausgabe
mit dem Aufsatz von Joseph von Westfalen inzwischen gelesen. Kann ich in einigen Punkten durchaus unterschreiben - auch wenn ich nicht der Verfasser bin... ;-)

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Wer in die genehme Richtung sülzt, findet natürlich auch Zustimmung, möglicherweise sogar mitleidiges Verständnis für die weniger gefälligen Passagen. Aber von Chrismon erwartet man auch nicht mehr. Das muß ich als Christ einmal sagen, auch wenn Sie für diese Zeitschrift schon gearbeitet haben.

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Es war wie gesagt
das Vorgängerblatt "DAS", und dort im Wirtschaftsteil und auf der Medienseite. Also keine Meinungsbeiträge zu religiösen und weltanschaulichen Themen. Mir scheint, Ihr Punkt mit dem "Sülzen in die genehme Ecke" zielt in die Ecke der von Ihnen so genannten "Moslemversteher"?

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Ja auch die, gleichwohl ich aktuell nicht an sie dachte. Es war mehr so allgemeines menschliches Verhalten gemeint. Und in der Folge habe ich etwas von Harald Martenstein gelesen, der von Frau(?) Bluetenstaub verlinkt wurde. Ein kleines Stück daraus:

"Freunde loben Freunde, Feinde schmähen Feinde, Seilschaften loben sich gegenseitig, und das Ganze nennt sich Kulturjournalismus, nicht überall, aber vielerorts. Statt so genannter Kritiken sollte man Beziehungsgeflechte abdrucken, daraus ergibt sich automatisch, wer welches Buch gut oder schlecht findet."

Martenstein | Bluetenstaubzimmer

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