Dienstag, 21. Oktober 2008
An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen
Michael Shermer ist Herausgeber des Magazins "Skeptic", schreibt Kolumnen für den "Scientific American" und hat unter anderem das Buch "The Science of Good and Evil" veröffentlicht.

Michael Shermer schreibt für Edge über Dinge, die man für wahr hält, die man aber nicht beweisen kann. Unter anderem gibt Shermer (auf SpOn) an:

"Es gibt weder einen Gott noch einen intelligenten Planer noch irgendein anderes göttliches Wesen im Sinne der Weltreligionen

Um diese Aussage zu untermauern fügt Shermer weiter an:

"Nachdem die klügsten Gelehrten der Welt sich seit Jahrtausenden bemühen, die Existenz oder Nichtexistenz Gottes zu beweisen respektive zu widerlegen, ohne sich auf einen Seinszustand des Transzendenten einigen zu können, darf man gewiss vermuten, dass die Gottesfrage nicht lösbar sein wird, so dass Glaube, Unglaube oder Skepsis letzten Endes ohne rationale Basis in der Luft hängen."

Wenn ich das für mich zusammenfasse, dann sagt Shermer das es keinen Gott gibt, weil weder seine Existenz noch seine Nicht-Existenz beweisbar ist. Wie dumm ist das denn?

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Wie oft
müssen wir das denn noch durchkauen, dass eine These kein unfehlbares Dogma ist oder behauptet, eine unwandelbare ewige Wahrheit zu liefern? Eine These (oder strenger wissenschaftlich gesprochen eine Hypothese) ist eine Behauptung, die auch widerlegt werden kann. Letztlich sagt er nichts anderes als "da keiner beweisen kann, dass es einen Gott gibt, gehe ich zunächst mal von seiner Nichtexistenz aus - lasse mich aber gern eines besseren belehren."

Was daran dumm sein soll, darfst Du gern mal näher erläutern.

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Dumm an der Aussage ist, dass er sich auf einer Basis entscheidet, die seiner eigenen Meinung nach bedrohlich wackelig ist, das Wackelige als Beweis anführt und seinen Satz nicht umformuliert in "Da weder die Existenz noch die Nichtexistenz beweisbar ist, entscheide ich mich dafür, dass es keinen Gott gibt". Dieser Satz wäre ehrlich.

Aber so hoch wollte ich das eigentlich gar nicht aufgekocht wissen. Wenn wir die Originalzitate untersuchen, und nicht die SpON-Zusammenfassung als Diskussions-Basis verwenden würden, dann käme sicherlich etwas deutlich anderes dabei heraus. Spannend fand ich die in sich unsinnige Beweisführung für eine persönliche Vermutung. Die ist, wenn von SpOn richtig zitiert, einem Wissenschaftler unwürdig ...

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Sie reden hier ständig von "Beweisen". Sie haben den Artikel offenbar nicht verstanden aufmerksam genug gelesen. Es gibt darin keine Beweise, es gibt nicht mal den Versuch einer Beweisführung. Es gibt stattdessen die klare Aussage, dass die aufgestellten Thesen eben nicht beweisbar sind.

Sie bauen hier einen Popanz auf, nur um ihn hinterher genüsslich einreißen zu können.

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So isses.
Was Du, lieber Thomas, als absulte Feststellung liest, ist weiter vorne ganz klar als These deklariert worden, und was das bedeutet, hab ich mehr als einmal versucht zu erklären:

Zumindest den Ernsthafteren unter den Wissenschaftlern ist schon klar, dass die Lehrmeinung von heute die Irrlehre von morgen sein kann. Es geht ja - im Idealfall zumindest - nicht um die Festlegung ewiggültiger Dogmen, sondern um Erklärungsmodelle und Hypothesen, die selten genug wirklich zu beweisen, wohl aber jederzeit von einer besseren Hypothese zu widerlegen sind.

Wer diese Prämisse nicht wirklich in aller Konsequenz verstanden hat, sollte sich zurückhalten, von Beweisen zu schwadronieren, wo keine aufgestellt werden und die Gesamtüberlegung, die man nicht wirklich versteht, als dumm zu deklarieren. Eben dieses Urteil könnte auf einen selbst zurückfallen.

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Gut, ich bin nicht nur dumm, sondern auch kein Wissenschaftler. Sicherlich hat das eine mit dem anderen zu tun. Wenn aber Wissenschaftler, also Menschen die die Sachen genau ansehen und üblicherweise auf korrekte Ausdrucksweise achten, sich so unvorsichtig ausdrücken, das einfach Geister wie ich aus einem Satz wie "Es gibt weder einen Gott noch einen intelligenten Planer noch irgendein anderes göttliches Wesen im Sinne der Weltreligionen" leichtsinnigerweise heraushören, das da jemand gesagt habe, es gäbe keinen Gott, noch einen intelligenten Planer oder ein anderes göttliches Wesen, und zwar im Sinne der Weltreligionen (was ich übrigens als eine bedenkswerte Einschränkung der vorhergehenden Aussage ansehe, das aber nur am Rande), dann ist das zumindest nicht meine Schuld.

Ich bin in den letzten ca. 15 Jahren so oft von Intellektuellen (im Besonderen von einem Physiker, einem Geologen und einem Mathematiker) ermahnt und aufgefordert worden, mich korrekt und verständlich auszudrücken und auf meine Wortwahl zu achten, dass ich fälschlicherweise annahm, das wenn ein Wissenschaftler seine private Meinung ausdrückt, dass diese als solche zu erkennen ist. Mein Fehler. Sorry.

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Es geht nicht
um den Satz an sich, sondern ob man ihn als die Feststellung einer absoluten und allgültigen Wahrheit missversteht oder als das nimmt, als was er hier präsentiert wird: eine These ohne Anspruch auf unumstößliche Wahrheit oder universelle Gültigkeit. Wissenschaftlichkeit beinhaltet nun mal das Eingeständnis des Risikos, auch falsch liegen zu können. Ich weiß wirklich nicht, was an dieser zugrundeliegenden Prämisse so schwer zu verstehen ist.

Und noch eins: Thesen werden oft genug auch ganz bewusst so zuspitzt und vereinfacht formuliert, um Widerspruch in der Fachwelt zu provozieren. Auch das gehört zur Wissenschaftlichkeit, dass man seine Thesen zur Diskussion stellt und durchaus in Kauf nimmt, auf abweichende Meinungen zu treffen und vielleicht selber neue Erkenntnisse aus dem Diskurs zu ziehen.

Sich an diesem einen Satz so aufzuhängen ohne den Kontext und die rhetorischen Spielchen richtig zur Kenntnis zu nehmen, ist einfach - ich will nicht sagen dumm - grob fahrlässig. Da läuft man Gefahr, wie Don Quichotte gegen Windmühlen zu reiten und dabei keine gute Figur zu machen.

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Mein Sermon dazu:
Wie ich das lese, speziell den Satz


Nachdem die klügsten Gelehrten der Welt sich seit Jahrtausenden bemühen, die Existenz oder Nichtexistenz Gottes zu beweisen respektive zu widerlegen, ohne sich auf einen Seinszustand des Transzendenten einigen zu können, darf man gewiss vermuten, dass die Gottesfrage nicht lösbar sein wird, so dass Glaube, Unglaube oder Skepsis letzten Endes ohne rationale Basis in der Luft hängen.


erscheint mir das als "klassische Variante" des Agnostizismus, die mir selbst -soviel räume ich sehr gerne ein- nicht unbedingt fremd ist. Es ist die Position derer, die eben nicht darauf drängen, dass es Gott nicht gibt, es ist aber auch nicht die derjenigen, die an Gott glauben (seien es nun Christen, Muslime oder Juden). Es ist die "Sandwichposition", "most hated by all fundamentalists" sozusagen, nich Fich noch Fleich, ein "sowohlalsauch" wie eben auch "nöisnichniegewesen".
Seit ich damals "Die Pest" von Camus gelesen habe, hab ich mich -für einige eher beschränkte Zeit- an die "Gottfrage" gemacht und bin für mich darauf verfallen, dass unsereins hier das ziemlich wahrscheinlich nicht lösen werden wird. Weder den "Probeweis" noch die Negation. Letzten Endes dürfte beides reine GLAUBENSsache sein und dies wirklich wörtlich....

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Ja, und weil alle drei genannten Thesen an erkenntnistheoretische Grundfragen rühren, ist dieser Spiegelartikel auch ein schöner epistemologischer Exkurs aus naturwissenschaftlicher Sicht.

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"Geister"
... ruft man selbst auf den Plan. Sonst niemand. In unserem Falle wäre das die Art und Weise, wie man ein Zitat interpretiert. Es ist eben auch eine "persönlliche Kiste".

Gerade deshalb sind die Möglichkeiten nun mal - nicht nur in diesem Kontext - weit gesteckt, je nach "Weltbild" und sonstigem ...

Im Zweifelsfalle, so wie hier, neige ich dazu, wenigstens den Versuch zu wagen, nur den Text zu sehen und nichts anderes.

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Da haben Sie ja wirklich hübsch selektiv zitiert. Den schönen Satz "Die Wissenschaft unterscheidet sich vor allem durch ihren Glauben an die Vorläufigkeit aller Schlüsse von den anderen menschlichen Tätigkeitsfeldern" mal eben weggelassen und auch den Abschlusssatz "Selbstverständlich könnte ich mich da irren" unterschlagen.

Cui bono?

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Der Satz "Es gibt weder einen Gott noch einen intelligenten Planer noch irgendein anderes göttliches Wesen im Sinne der Weltreligionen" ist für mich eine absolute Aussage, die keinerlei Anteil an einer Hypothese erkennen lässt. Und natürlich haben Sie Recht, Herr ichichich, wenn Sie sagen, ich habe selektiv zitiert. Aber ich habe nicht die mir genehme Sahneschnitte herausgeschnitten, sondern den Teil weggelassen, der sich nicht um These (1) kümmert. Mann könnte also sagen, dass Sätze aus anderen Thesen, z. B. den über den Glauben an die letztendliche Allwissenheit der Wissenschaft, diesen Absatz verwässert hätten, da er nicht zum dort verhandelten Themengebiet gehört.

Noch ein Zitat aus dem Artikel:

"Kurzum, ich glaube, kann aber nicht beweisen, dass die Realität existiert und wir sie am besten mittels der Wissenschaft begreifen, dass es keinen Gott gibt, dass das Universum determiniert ist, wir aber dennoch frei sind, dass sich die Moral im Zuge der evolutionären Anpassung von Menschen und menschlichen Gemeinschaften entwickelte und dass die Wissenschaft zu guter Letzt alles erklären kann.

Selbstverständlich könnte ich mich da irren ...


Die Aussage "dass es keinen Gott gibt" steht für sich alleine in einer Aufzählung, die abgeschlossen ist, und durch den Nachsatz, dass er sich irren kann beendet wird. Eine weitere Einschränkung seiner Aussage zu Gott gibt es nicht. Schon gar keine, die von der Vorläufigkeit aller Schlüsse spricht. Die bezieht sich nämlich auf ein ganz anderes Thema.

Was ich schade finde ist, das niemand die Argumentation bemerkenswert findet, die da behauptet, was nicht eindeutig bewiesen bzw. nichtbewiesen werden kann existiert dann eben nicht. Dieser Satz könnte als Beweis für die Nichtexistenz des Spaghetthi-Monsters angesehen wird. Und auf diesen Beweis wurde nach meinem Wissen ein nicht unbeträchtlicher Geldpreis ausgesetzt ...

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Der Satz "Es gibt weder einen Gott noch einen intelligenten Planer noch irgendein anderes göttliches Wesen im Sinne der Weltreligionen" ist für mich eine absolute Aussage, die keinerlei Anteil an einer Hypothese erkennen lässt.

Eine Zeile darüber bezeichnet er diesen Satz als "These". Eine These ist keine "absolute Aussage".

...Glauben an die letztendliche Allwissenheit der Wissenschaft...

Eine solche Aussage finde ich im gesamten Artikel nicht. Stattdessen betont er, wie es sich für einen seriösen Wissenschaftler gehört, die "Begrenztheit" der Wissenschaft und die "Vorläufigkeit ihrer Schlüsse".

Die Aussage "dass es keinen Gott gibt" steht für sich alleine in einer Aufzählung, die abgeschlossen ist, und durch den Nachsatz, dass er sich irren kann beendet wird. Eine weitere Einschränkung seiner Aussage zu Gott gibt es nicht. Schon gar keine, die von der Vorläufigkeit aller Schlüsse spricht.

Das ist schlichtweg falsch. Diese Aufzählung ist lediglich eine nochmalige Zusammenfassung der drei vorher genannten Thesen. THESEN!

...was nicht eindeutig bewiesen bzw. nichtbewiesen werden kann existiert dann eben nicht. Dieser Satz könnte als Beweis für die Nichtexistenz des Spaghetthi-Monsters...

Thesen. Keine Beweise. THESEN!

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Was ich an dieser ganzen Beiweis- Streiterei bemerkenswert finde: Warum sollen wir Menschen seine Existenz beweisen bzw. ohne Beweis an ihn glauben müssen?
In der Vergangenheit hat er diese Tätigkeit doch mit Vergnügen selbst übernommen: Auslöschen von Städten, Säuglingsmord, Schwängern von Jungfrauen, Kriege entscheiden etc...
Daß er das nicht mehr tut stimmt mich nachdenklich. Denn etweder bedeutet das doch, daß er das Interesse an uns verloren hat, oder daß er sich in Wirklichkeit noch nie eingemischt hat.

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@ichichich:

Wikipedia: "Eine These ist ein Gedanke oder Satz, dessen Wahrheitsinhalt eines Beweises bedarf. Der Verfasser einer These behauptet die Wahrheit. Ist die These nicht haltbar, muss sie verworfen werden. Andernfalls kann an der These festgehalten werden."

Aber mir geht es nicht um die Aussage/These/You-name-it, sondern die Erklärung zur Aussage/These/You-name-it.

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Ach so. Na dann.

("Mir geht es gar nicht darum, was er gesagt hat. Mir geht es darum, wie ich es interpretiere.")

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Die Wikipedia-Definition
von These und geforderten Beweisen hält dem allgemeinen Sprachgebrauch nebenbei bemerkt auch nicht stand.

Um DIE WAHRHEIT wird es den wenigsten gehen, die irgendwelche Thesen aufstellen. In meinem Metier (das mehr geisteswissenschaftlich als szientistisch geprägt ist) ist eine These eine mehr oder weniger plausible Annahme, für die man Belege beibringt, aber nicht unbedingt Beweise. Martin Luther hat mit seinen Thesen zu Wittenberg auch nicht unbedingt ewiggültige Wahrheiten samt Beweisen verkündet, sondern Anstöße für theologische Diskussionen
geben wollen.

Die Nichtbeweisbarkeit der Existenz oder Nichtexistenz Gottes muss man nicht mehr beweisen, da sich schon sämtliche großen Geister der Menschheitsgeschichte vergeblich damit abgemüht haben. Von dieser Basis aus die These aufzustellen, es gebe keinen Gott, scheint mir nicht dümmer oder klüger als die These, es gebe einen Gott.

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Nun, ich bin der Meinung, dass sich aus der Erkenntnis, die Existenz eines Gottes lässt sich weder beweisen noch wiederlegen, nur eine These ableiten lässt (um das Wort „These“ im Sinne der Wikipedia zu gebrauchen), nämlich die, das sich seine Existenz weder beweisen noch wiederlegen lässt. Alles darüber hinaus halte ich für leichtsinnig oder dumm, da es die Erkenntnisse anderer missachtet.

Mutig hingegen finde ich Menschen, wie z. B. die, die sich nicht von einem vermeintlichen Wiederspruch irritieren lassen, sondern so lange nachdenken, bis ein vernünftiges Ergebnis dabei rauskommt. Die Natur des Lichtes ist so eine Sache. Es verhält sich gleichzeitig wie eine Welle und wie ein Partikel. Das Ergebnis der Überlegung war das Tor zur Quantenphysik. Ein Fortschritt in der Physik.

Jeder der über die Natur des Lichtes nachdenkt und dabei einen Teil der Erkenntnisse zur Seite schiebt, weil sie nicht in sein Weltbild passt, oder einen schönen Erklärungsansatz zunichte macht, ist dumm. Ich behaupte (und markiere meine Behauptung als solche) dass unser Autor einfach den Teil weglässt, den sein „gesunder Menschenverstand“ ablehnt, und dann aus dieser interessanten Ausgangslage eine Aussage formuliert, wie er sie oben abgegeben hat.

Noch etwas ist Interessant. Der Artikel ist unter dem Thema geschrieben "Was halten Sie für wahr, ohne es beweisen zu können?" Er hatte also alle Freiheiten zu schreiben was er will, ohne diese schwache Krücke als Erklärung zu verwenden. Denn aus dem gleichen Erklärungsansatz lässt sich auf seine Weise genau so ableiten, das es einen Gott gib. Letztlich scheint mir der ganze Absatz irrelevant. Ein nicht beweisbare Aussage wird mit Informationen untermauert, die keine Möglichkeit bietet die Aussage abzuleiten.

Oder um es mit Deinen Worten zu sagen, Mark:

„Die Nichtbeweisbarkeit der Existenz oder Nichtexistenz Gottes muss man nicht mehr beweisen, da sich schon sämtliche großen Geister der Menschheitsgeschichte vergeblich damit abgemüht haben. Von dieser Basis aus die These aufzustellen, es gebe keinen Gott, scheint mir nicht dümmer oder klüger als die These, es gebe einen Gott.“

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Herr Götzeclan, Sie schreiben: "Jeder der über die Natur des Lichtes nachdenkt und dabei einen Teil der Erkenntnisse zur Seite schiebt, weil sie nicht in sein Weltbild passt, oder einen schönen Erklärungsansatz zunichte macht, ist dumm."

Also, dumm war Goethe nun auch wieder nicht!

Übrigens halte ich vieles für wahr, ohne es beweisen zu können, letztlich eigentlich alles. Es gibt nur einen Unterschied zwischen einfachen Aussagen, die von fast jedermann geteilt werden können, und solchen, denen eine große Anzahl durchaus gebildeter Menschen widerspricht, zumindest Zweifel an ihnen für begründet hält.

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Da haben Sie Recht. Ich war wohl etwas voreillig mit dieser Aussage. Allerdings möchte ich anmerken, dass Goethe möglicherweise nicht die Chance hatte, die wahre Natur des Lichtes (wenn wir die wahre Natur des Lichtes denn wirklich schon so gut kennen um das festzustellen) sich wirklich zu erarbeiten.

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Es hatte sich
für bestimmte Erkenntnisse eine ganze Weile eigentlich ganz gut bewährt, bei der Beobachtung von Effekten, die der Teilchennatur des Lichtes zuzuschreiben waren, die Frage nach dem Wellencharakter auch mal beiseite zu lassen und umgekehrt. Ich weiß ehrlich gesagt aktuell nicht genug über Physik, um eine Ahnung zu haben, ob oder inwieweit diese Widersprüche inzwischen geklärt sind. Vielleicht gibt es da eine Unschärferelation dergestalt, dass es davon abhängt, wie (oder mit was für einer Apparatur) ich draufgucke, ob sich mir das Licht als Welle oder Photonen-Bombardement zeigt.

Aber wenn wir jetzt mal ganz allgemein über Dummheit oder Erkenntnisgrenzen reden: Wen würde ich im Zweifelsfall für dümmer (oder leichtsinniger) halten: jemanden, der glaubt, die absolute Wahrheit für sich gepachtet zu haben - oder jemand, der sagt, ich denke mir das soundso, könnte aber auch falsch liegen?

Aber zu dem Einwand von 19 Uhr 51

Ein nicht beweisbare Aussage wird mit Informationen untermauert, die keine Möglichkeit bietet die Aussage abzuleiten.

wollte ich noch anmerken: Richtig. Aber ob das im Originalbeitrag auch so ist oder eher der Übersetzung und Kürzung in Hamburg anzulasten ist, müsste man mal genauer prüfen. Es gibt aber vielleicht doch einen Grund, warum der Naturwissenschaftler unter diesen Voraussetzungen der Nichtbeweisbarkeit eher zu der Variante neigt, es gebe keinen Gott, selbst wenn das Gegenteil für uns genauso naheliegend aussieht: Die Hypothese, es gebe keinen Gott, ist die einfachere. Darin liegt ihr (vermeintlicher) Vorzug.

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Herr Mark, ich stimme Ihnen zu: Ist eine Aussage weder bewiesen noch widerlegt, hält man trotzdem eine der beiden Möglichkeiten für plausibler, angenehmer, nützlicher, wertfreier, neutraler und führt seine Gedanken ungern unter Annahme des Gegenteiles fort, sofern man sich überhaupt entscheiden muß und nicht ständig beide Varianten beachten kann. Auch ein gläubiger Naturwissenschaftler berücksichtigt Gott nicht in seiner Theorie oder gar Meßtechnik, weil er zu seinen Lebzeiten nicht mit einem Gottesbeweis rechnen kann. Und würde Gott sich eines Tages offenbaren, dann wahrscheinlich anders als von ihm in die Physik eingebaut.

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Herr Götzeclan, nach zwei Tagen noch einmal zu Goethe: Er hatte natürlich keine Chance, die wahre Natur des Lichtes im Sinne Ihres Wellikel-Bildes zu sehen, doch hätte er wenigstens auf Newton hören können.

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"Und würde Gott sich eines Tages offenbaren, dann wahrscheinlich anders als von ihm in die Physik eingebaut"

Ich habe keine Ahnung wie er das tun wird, aber möglicherweise auch als in sich schlüssige GUT, der lange gesuchten Grand Unified Theorie. Ich denke mir, wenn es passiert dann so, dass einige Vorhänge fallen, die bisher den Blick auf das große Ganze verhüllt haben. So denke ich, dass verfeindete Völker (z. B. im nahen Osten) mit einem mal erkennen, das sie nicht unterschiedliche Staaten sind sondern beides Menschen.

Noch eine Sache am Rande. Da ich daran glaube, dass er eine menschliche Gestalt hat (immerhin hat er uns nach seinem Ebenbild erschaffen, was bei Betrachtung des Ergebnisses einige Rückschlüsse auf die Vorlage zulässt), wird sein Erscheinen das einer Person sein. Ich bin echt gespannt drauf, wie CNN das überträgt (wenn es dann CNN noch gibt).

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Ich gehe davon aus, daß zu meinen Lebzeiten keiner einen gültigen Gottesbeweis führen wird, insbesondere Gott sich nicht zweifelsfrei zu erkennen gibt. Im ewigen Lebn könnte das anders sein. Um auch mich zu wiederholen: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich's stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin." (1K13,12)

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Ich möchte, spekulativ zugegebenermaßen, weiter gehen und behaupten, dass die Nichtbeweisbarkeit eines Gottes von Gott gewollt ist. Damit lässt sich natürlich prima ableiten, dass er uns alle verarschen will. Aber wer sich die Mühe macht mal einen Meter weiter zu denken als üblich, wird mit einer interessanten Erkenntnis belohnt werden.

Wie immer, wenn man sich diese Mühe macht.

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Wenn die Erkenntnisbelohnung in der Beweisbarkeit der gottgewollten Nichtbeweisbarkeit eines Gottes bestünde, dann dächte ich auch mal einen Meter weiter als sonst (und befände mich, rein gedanklich gesehen, ungefähr auf Bildschirmniveau).

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Wenn es denn einen Gott gibt, hält er sich in dieser Welt offensichtlich verborgen. Aber deshalb verarscht er uns nicht zwingend. Zum Beispiel könnten wir uns in einer durch und durch guten mit Gott gemeinsam bewohnten himmlischen Welt aus freien Stücken entschlossen haben, dieses irdische Leben ohne Erinnerung und ohne Gottesbeweis anzutreten, wie Jesus aus freien Stücken Mensch wurde, nicht zur Schau mit Unsterblichkeit im Hinterkopf und Allwissenheit schon in der Krippe.

Aber Sie behaupten die Verarschung ja nicht aus Überzeugung, sondern als rhetorische Figur. Für Sie existiert Gott und verarscht uns nicht. Dank Ihrer Zusatzbehauptung muß er also erkennbar sein. Wenn nicht durch Hinsehen, Nachdenken, Bibellesen und Forschen, dann durch eine andere Methode, die Sie im Dunklen lassen und von uns Faulpelzen wegen ihrer Mühe gemieden wird: Sie ist allgemein bekannt: Sich auf Gott einlassen und ihn einfach sehen, "nicht denken, wissen".

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Das "sehen" kann dann aber nur metaphorisch gemeint sein, und die Erkenntnis wäre allenfalls eine empirische und, zusätzlich, begrifflich nicht vermittelbare, was eine Argumentation hin auf dieses "Wissen", welches ein esoterisches im strengen Sinn wäre, wiederum sinnlos macht.

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@&&&:
Ja, aus einer persönlich erkannten Wahrheit vom Kaliber "Gott existiert - und wir sprechen sogar miteinander" abzuleiten, dass eigentlich ein jeder diese Wahrheit erkennen müsste und nur durch Vernageltheit oder das Zutun böser Mächte davon abgehalten wird, das funktioniert offensichtlich nicht. Und da haben wir auch schon ein grundlegendes Problem der Diskussionen hier in diesem Blog benannt.

Ich würde nicht so weit gehen, dass der Austausch über diese großen Fragen sinnlos ist. Aber es ist ja noch nichts gewonnen, wenn ich im Verlauf einer solchen Diskussion sage, ok, ich nehme es jetzt mal als gegeben hin, dass ein höheres Wesen, nennen wirs meinethalben Gott, existiert. Die viel interessanteren Fragen sind doch die, die sich daraus ergeben: Muss ich deswegen zwangläufig an einen alten Herrn mit Bart und einem hochbegabten Sohn glauben und deswegen Kirchensteuer oder Zehnten zahlen? Wie kommt man von der Akzeptanz Gottes auf diese ganzen Details, ohne dass man sagt, hey, jetzt mal langsam???

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Wie kommt man von der Akzeptanz Gottes auf diese ganzen Details, ohne dass man sagt, hey, jetzt mal langsam???

Schließe ich daraus, dass Du aus der Akzeptanz eines Gottes keine weitere Konsequenzen erkennst? Ich drücke das jetzt mal bewusst locker aus, ohne Deine Ansichten bewerten zu wollen. Könnte man also sagen: Na gut, dann gibt es halt einen Gott, was solls?

Meine Kette der Zusammenhänge zwischen der Erkenntnis eines Gottes und dem Überweisen meines Zehnten geht in etwa so:

- Ich habe erkannt, dass es einen Gott gibt
- Ich habe erkannt, dass Jesus eine Kirche errichtet hat, in dem er Apostel, Siebziger, Bischöfe usw. berufen hat oder durch seine Jünger/Apostel berufen ließ.
- Ich habe verschiedene Kirchen betrachtet und mich dabei für eine entschieden, die meiner Ansicht nach die legitime Nachfolgerin dieser von Jesus errichteten Kirche ist.
- Ich habe, z. B. durch heilige Schriften wie die Bibel, von Geboten erfahren, die Gott für seine Anhänger vorgesehen hat
- Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass diese Gebote den Zweck haben, mich in meiner persönlichen Entwicklung zu unterstützen und sie für mich angenommen.
- Eines der Gebote besagt, dass ich von meinen Erträgen den Zehnten Teil (den so genannten "Zehnten") abführen soll.
- Ich habe das Gebot nicht gehalten. In einer drastischen finanziellen Schieflage wurde ich an das Gebot erinnert und motiviert mich daran zu halten.
- Ich habe den ehrlichen Zehnten entrichtet und habe zusehen können, wie sich meine finanzielle Lage ebenso drastisch verbessert hat, wie sie vorher schief lag.
- Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass das Einhalten des Gebotes "Zehnter" mir persöhnlich geholfen hat mit Finanzen besser klar zu kommen. Zusätzlich zu dem pädagogischen Aspekt (der hier extrem schwer zu formulieren ist, mir aber sicherlich von anderen gerne als tatsächliche Ursache für meine verbesserte finanzielle Situation präsentiert wird, ohne das es dazu eines Gottes bedarf) habe ich die Bestätigung von Gott erhalten, dass die Einhaltung dieses Gebotes mir persönlich zum Fortschritt gereicht. Ohne diese Bestätigung hätte ich sicherlich schon längst die ganze Sache wieder fallen gelassen.

So in etwa, stark verkürzt, bin ich von der Erkenntnis, es gibt einen Gott, zu dem Detail "Zehnter" gekommen. Ähnliche Geschichten lassen sich über Dinge wie "Ehrlichkeit", "Keuschheit", "Dienen" usw auch schreiben.

Weil ich das alles erlebt habe, kann ich nun nicht mehr sagen: Natürlich gibt es einen Gott, aber es gibt auch Säcke mit Reis drin in China und Umgebung. Wollen mal sehen, wann der nächste umkippt ...

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Danke
für die ausführliche Antwort, die mir in der Tat hilft, manches klarer zu sehen. Ich kann den Weg über diese Stationen zwar nachvollziehen, zweige persönlich aber bereits an einem sehr frühen Punkt in eine andere Weggabelung ab. Schon allein der Weg von Gott zu einer (oder gar der angeblich wahren oder legitimen) Kirche hat sich mir so nicht gezeigt, und ich betrachte Kirchen mitsamt ihren Dogmen und Regelsammlungen allesamt mehr als Menschenwerk denn als Gotteswerk. Dem steht nicht entgegen, dass Kirchen, ihre Lehrer und Schrifttümer zum Teil auch manches vertreten, was ich für mich als wahr erkannt habe. Aber da vieles durch ungenaue Übersetzung und zum Teil auch fehlendes Verständnis für die ursprüngliche und eigentliche Lehre Jesu verfälscht oder verborgen worden ist, sehe ich mich in der Pflicht, nicht einfach irgendeine Lehre nachzubeten, die mir vorgebetet wird, sondern meinen ganz persönlichen Weg zu Gott zu suchen und zu gehen.

Welche Konsequenzen ich aus alledem ziehe, ist ein weites Feld und lässt sich aus genannten Gründen eben nicht auf den Punkt bringen à la "ich befolge sämtliche Gebote der alleinseligmachenden Kirche und ihrer Repräsentanten in der vagen Hoffnung, dass ich auf diese Weise dereinst das ewige Leben gewinne."

Genauer herauszuarbeiten, wo ich Schnittmengen und diametrale Unterschiede zu gängigen christlichen oder sonstigen theologischen und philosophischen Lehrmeinungen sehe, fehlt mir im Moment leider die Zeit, Aber ich werde da künftig gerne noch Details nachreichen.

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Aber da vieles durch ungenaue Übersetzung und zum Teil auch fehlendes Verständnis für die ursprüngliche und eigentliche Lehre Jesu verfälscht oder verborgen worden ist, sehe ich mich in der Pflicht, nicht einfach irgendeine Lehre nachzubeten, die mir vorgebetet wird, sondern meinen ganz persönlichen Weg zu Gott zu suchen und zu gehen.

Ich sehe mich in der gleichen Pflicht. Was sich da in meiner Liste in 30 Sekunden herunterlesen lässt ist ein Vorgang, der gut und gerne 10 - 15 Jahre gedauert hat und immer wieder von mir auf die Probe gestellt wird. Auch ich stelle Vorgegebenes erst ein mal in Frage. Interessanterweise wurde ich vom Kleinen auf das Große geführt. So wie ein kleines Kind erst Milch bekommt, dann Brei, danach Gemüse und dann erst Fleisch, so habe ich mich von einer Erkenntnis zur Nächsten gehangelt. Jetzt, im Rückblick, stellt sich für mich dieser Weg absolut logisch dar. Und es ist für mich schwer zu verstehen, dass das, was ich erkannt habe, anderen verschlossen sein soll. Auch verstehe ich nicht, wie manche im Stadium eines kleinen Kindes Nahrung als solches komplett verwerfen, weil sie nicht von Anfang an Fleisch verdauen können. Ich höre oft, weil ich dieses nicht akzeptieren kann kommt für mich das Ganze nicht in Frage. Ich finde das merkwürdig. Aber: Man lernt halt nie aus.

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Nun,
wenn ich mir die Wahrheit als den nahezu unendlich großen Kristall vorstelle, von dessen unzähligen Facetten jeder einzelne mit seinem eingeschränkten Sichtfeld nur einen ganz kleinen eigenen Schimmer erhaschen kann, dann wundert es mich schon weit weniger, dass andere auf bestimmte Fragen andere Antworten gefunden haben als ich.

Das mit dem Verwerfen einer ganzen Glaubenslehre, weil ein Teil davon einem absolut nicht einleuchten will, tja, ob das klug ist oder nicht, kann man so pauschal nicht sagen. Ich enthalte mich da genereller Urteile, gestehe mir aber zu, Vorstellungen, die ich vielleicht vor Jahren eher belächelt oder abgelehnt hätte, im Lichte neuer Erkenntnisse und Erfahrungen noch mal in die engere Wahl zu ziehen. Beispiel Reinkarnation: Allein den Gedanken fand ich früher schon absurd, viele gängige Vorstellungen davon finde ich auch heute ziemlich widersinnig, und doch bleibt da was wenn ich den ganzen Mist rausschüttle in meinem Sieb hängen, was ich nicht einfach abtun oder verwerfen kann. Und damit meine ich jetzt nicht Berichte von irgendwelchen überspannten Zeitgenossen, die alle schon mal Pharao oder noch dolleres gewesen sein wollen, wo sich aber komischerweise nie jemand zu Wort gemeldet hat, der Steine auf die Pyramide geschleppt hat.

Aber ich muss an der Stelle noch mal einen Break machen, familiäre Pflichten rufen...

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Ein Tag zurück zu Und-Und-Und: Ich will jetzt nicht wieder Palmer aufwärmen, nur zart an ihn erinnern: Ihm geht es um die Frage, ob Verstehen ohne Glauben möglich ist, ob der Gläubige etwas erklären kann und ob Abtrünnige mit dem Glauben auch die Erkenntnis verlieren, daß keiner uns so richtig erklären kann, um was es sich da handelt.

Palmer

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@mark, @wuerg: Sie haben Recht. Eine Argumentation hin auf dieses "Wissen" (ich würde es lieber "Erfahrung" nennen) ist nicht wirklich sinnlos, es kann aber in dieser Hinsicht keine Beweiskraft entfalten. Was das Argumentieren diesbezüglich kann, das ist wohl ein Andeuten.

Ich weiß nicht, ob das okay für Sie ist, ich habe mal vor einigen Jahren während des Studiums eine Arbeit über Meister Eckhart geschrieben und mich dabei etwas mit der Thematik rund um Gott, Erkennen und Sprache aus der Perspektive der "Mystik" bzw. Negativen Theologie beschäftigt. Ich kopier die hier mal rein. Ist zwar irgendwie ding, aber vielleicht interessiert es ja jemanden (zur Zeit wäre ich auch zu doof, um das noch einmal mit frischen Worten zu formulieren, was ich damals so onkelhaft fabuliert habe). Die Quellenangaben zu den Zitaten habe ich der Einfachheit halber bzw. wg. technischen Unvermögens meinerseits weggelassen, gebe sie aber gern nachträglich an. Viel von dem Gedankengut, was ich verwendet habe kommt hier her; die meisten Zitate, die nicht von Eckhart stammen, kommen gleichfalls aus diesem Buch. (Wenn den Admins dieses Reinkopieren nicht behagt, zögern Sie bitte nicht, den Eintrag wieder zu löschen.)

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Die Erfahrung der unio mystica und ihre sprachliche Vermittlung bei Meister Eckhart

1.Erfahrung
1.1.Erfahrung der unio mystica
1.2.Transkategorialität.
2.Sprache
2.1.Sprachliche Selbstreferenz innerhalb der unio mystica
2.2.Schweigen
2.3.Reden
3. Rhetorik
3.1 Allgemeines
3.2. Das Paradox
3.2.1. Das Paradox bei Eckhart
3.3. Vermittlung: Analogie und Metaphorik
3.3.1. Analogie
3.3.2.Metaphorik

1. ERFAHRUNG

1.1 Erfahrung der unio mystica

Das zentrale Motiv, das in den Schriften und Predigten Eckharts durchschimmert, ist ein zutiefst soteriologisches, nämlich „das Erreichen einer höchsten, vollkommenen und harmonischen Haltung zum Leben – zum Sein insgesamt [...].“ Auf christlich-neuplatonische Weise wird demnach die klassische Suche nach einem Zustand fortgesetzt, der schon in der griechischen Antike gesucht wurde, und der dort unter dem Begriff der Eudaimonia auftauchte. In der unio mystica scheint genau diese harmonische Haltung zum Sein erfahren zu werden. Eckhart schreibt: „Wie wunderbar: draußen stehen wie drinnen, begreifen und umgriffen werden, schauen und (zugleich) das Geschaute selbst sein, halten und gehalten werden – das ist das Ziel, wo der Geist in Ruhe verharrt, der lieben Ewigkeit vereint.“

Möchte ich nun verstehen, was das Wesentliche in den – auf den ersten Blick reichlich paradoxen – Aussagen der Mystiker ist, so bin ich schon auf der falschen Fährte und doch mittendrin. Denn in der Mystik wird genau dies problematisiert: Das „Ich“ und sein Bezug zum „Verstehen“ bzw. zur „Erkenntnis“. Erkenntnis im normal gebräuchlichen Sinne setzt immer einen zu verstehenden Sachverhalt sowie eine Person voraus, die diesen Sachverhalt versteht. In der Erfahrung der unio mystica, der Einheitserfahrung, kann es diesen Unterschied zwischen erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt nicht mehr geben – es läge ja sonst keine Einheit vor.

Auch den Mystikern geht es um Erkenntnis, jedoch um eine Erkenntnis der Möglichkeiten bzw. der Grenzen von Erkenntnis – es handelt sich also immer auch um eine Grenzerfahrung. Die mystische Erfahrung kann demnach nicht im Sinne eines lernenden Verstehens verstanden, sondern nur durch eigene Erfahrung nachvollzogen werden. Das „normale“, menschliche – oder, wie Eckhart es ausdrücken würde, „kreatürliche“ – Verstehen bewegt sich innerhalb der Koordinaten kategorialer Begrifflichkeit, wobei Begriffs- oder Symbolsysteme klarerweise nur dann Sinn machen, wenn sich die einzelnen Teile dieser Systeme untereinander differenzieren. Diese Partialität von Begrifflichkeit steht damit aber im Gegensatz zur unio, in der es keine Unterscheidungen mehr gibt: nur das All-Eine der unio ist „wirklich“. Die mystische Erkenntnis ist also von anderer Qualität als die gewöhnliche: „Denn man kann Gott nicht sehen außer mit Blindheit und nicht erkennen außer mit Nicht-Verstehen und nicht vernehmen außer mit Un-Vernunft.“

Was bezeichnet die unio mystica eigentlich? Wie könnte man ihre Qualität beschreiben? In den Texten der Mystiker tauchen häufig Beschreibungen von Momenten höchster Emotionalität auf. So spricht Dionysios Areopagita von einer „reinen Ekstase“ und auch Meister Eckhart hält mit Beschreibungen seiner Erfahrungen nicht zurück, ebenso Mechthild von Magdeburg, Heinrich Seuse, Jakob Böhme etc. Die unio mystica beschreibt zunächst die Erfahrung der Einheit mit Gott. Nun ist der Begriff „Gott“ nicht gerade eindeutig und klar; es hilft also, wenn er aus der Tradition der christlichen Theologie und scholastischen Philosophie in der Zeit um 1300 erklärt wird, denn nur so kann nachvollzogen werden, was Eckhart unter der Erfahrung der Einheit mit Gott in der unio überhaupt versteht (wobei Eckharts Begriff von "Gott" natürlich nicht repräsentativ für seine Zeit ist, aber immerhin war seine - neuplatonische - Deutung keine der Zeit fremde). „Gott“ ist in diesem Kontext zugleich der abstrakteste und allgemeinste Begriff. Er ist Inbegriff von Realität, Wirklichkeit und Eigentlichkeit. „Gott“ läßt sich somit auch durch den weniger religiös konnotierten Begriff „Sein“ ersetzen, was Eckhart selbst auch wiederholt in seinen Schriften tut („esse est deus“) und sich damit in Einklang mit der scholastischen Philosophie befindet.

Wenn von der unio als einer Erfahrung der Einheit mit Gott gesprochen wird, so läßt sich hier „ein Typus von Erfahrung rekonstruieren, der nicht zwangsläufig nur theologisch, sondern auch in nicht-theistischer Gestalt denk- und deutbar ist“, eben weil der Begriff „Gott“ schon entgrenzt und alles andere als eine Bezeichnung für eine anthropomorphe Gestalt ist. „Gott“ steht für die Totalität des Seins, die selbst nicht verursachte Ursache für alles Seiende.

Folgt man den mystischen Textzeugnissen, so ist der Moment der All-Einheits-Erfahrung mit einem radikalen Wandel des menschlichen Selbstverständnisses verbunden. Wie erwähnt, wird diese Grenzerfahrung häufig euphorisch beschrieben. Es scheint ein Zustand der Vollkommenheit erlebt zu werden, der alles andere in den Schatten stellt: man ist „selig bei sich selber oder – und das ist gleichbedeutend – außerhalb seiner selbst.“ Was sich innerhalb dieser Erfahrung zu verändern scheint, ist das Verhältnis zwischen Ich und Gott (bzw. Welt/Sein). Innerhalb der Einheitserfahrung kommt es zu einer Entgrenzung und Auflösung des geschaffenen, kreatürlichen „Ich“, welches bisher der Welt und der Realität (also Gott) als ein Anderes und Fremdes entgegenstand und aus diesem Grund immer partikular war.

Allerdings liegt die Erlangung der unio nicht im menschlichen Handlungsbereich, denn wollte ich sie erreichen, ist immer ein „Ich“ da, welches will – und schon ist mit dem „Ich“ eine Differenz zu Gott da. Eine der bekanntesten Predigten Eckharts – beati pauperes spiritu – behandelt dann auch ausführlich diese Forderung nach der Aufgabe des kreatürlichen Willens. Die unio ist Ausdruck der göttlichen Gnade, die im rechten Moment – dem kairos – geschieht. Man kann die unio demnach nicht erzwingen, allerdings kann man alles mögliche anstellen, um sie am kommen zu hindern. Die Erfahrung der unio – von Eckhart auch als Gottesgeburt in der Seele bezeichnet – ist schließlich als eine Umkehrung der natürlichen Geburt zu verstehen: wird der Mensch in letzterer von Gott getrennt, so gebiert sich Gott in der mystischen Geburt wieder im Menschen: es kommt zu der Einigung von „Gott“ und „Ich“.

Wenn Eckhart in seiner Predigt den provokativen Satz „Gott und ich, wir sind eins“ ausspricht, so ist diese Gleichsetzung jedoch nicht im Sinne eines Autotheismus zu verstehen. Vielmehr ist diese Gleichsetzung eine absolute Gleichsetzung, das heißt „die Einheit der unio wird als radikale Identität gedacht, als konkrete Selbigkeit und nicht nur als abstrakte Gleichheit von Vergleichbarem, aber unterschiedlich Bleibendem.“ Um also den Zustand der Nicht-Gleichheit (in dem sich kreatürliches „Ich“ und der kreatürliche Begriff „Gott“ different gegenüberstehen) von dem Zustand der absoluten Gleichheit (in dem sich das kreatürliche „Ich“ in der unio entgrenzt und es keinen kreatürlichen Begriff „Gott“ mehr gibt), besser zu unterscheiden, verwendet Eckhart für den letzteren Zustand häufiger – aber nicht regelmäßig – den Begriff der „Gottheit“:

„Gott wird (‚Gott’), wo alle Kreaturen Gott aussprechen: da wird ‚Gott’. Als ich noch im Grunde, im Boden, im Strom und Quell der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte: da war niemand, der mich gefragt hätte. Als ich aber ausfloß, da sprachen alle Kreaturen: ‚Gott’! Fragte man mich: Bruder Eckhart, wann gingt Ihr aus dem Hause?, dann bin ich drin gewesen. So also reden alle Kreaturen von „Gott“. Und warum reden sie nicht von der Gottheit? Alles das, was in der Gottheit ist, das ist Eins und davon kann man nicht reden. Gott wirkt, die Gottheit wirkt nicht, sie hat auch nichts zu wirken, in ihr ist kein Werk; sie hat niemals nach einem Werke ausgelugt. Gott und Gottheit sind unterschieden durch Wirken und Nichtwirken.“

Solange es also noch Kreatur und ein ihr different gegenüberstehendes, gedachtes Abstraktum „Gott“ gibt, solange ist die unio mystica nicht vollzogen und die Einigung von „Ich“ und „Gottheit“ nicht erreicht. Mit diesen zwei Bedeutungsebenen von „Gott“ im Hintergrund ist auch nachzuvollziehen, was Eckhart mit dem folgenden, zunächst paradox anmutenden Satz bezeichnen möchte: „Darum bitte ich Gott, dass er mich ‚Gottes’ ledig mache; denn mein wesentliches Sein ist oberhalb von Gott, sofern wir Gott als Ursprung der Kreaturen fassen.“

Die Aufhebung der Differenz zwischen Gott, also dem allgemeinen Sein, und des kreatürlichen, partikularen „Ich“ wird bei Eckhart – wie erwähnt – durch die Gottesgeburt beschrieben, die sich innerhalb der Seele vollzieht. In der Seele ist ein „Fünklein“ vorhanden, welches die unio ermöglicht. Allerdings ist der Begriff „Fünklein“ nur ein Zeichen, das nichts Besonderes bezeichnen will: würde es etwas Besonderes bezeichenen, gäbe es wieder eine Unterscheidung – aber gerade deren Abwesenheit ist Kennzeichen der göttlichen unio. Die Gottheit aber unterscheidet sich durch ihr Nicht-Unterscheiden vom Unterscheidenden. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Umschreibung des Seelenfünkleins, jener „Interaktionsstelle“ zwischen Kreatur und Gott:

„Ich habe bisweilen gesagt, es sei eine Kraft im Geiste, die sei allein frei. Bisweilen habe ich gesagt, es sei eine Hut des Geistes; bisweilen habe ich gesagt, es sei ein Licht des Geistes; bisweilen habe ich gesagt, es sei ein Fünklein. Nun aber sage ich: Es ist weder dies noch das; trotzdem ist es ein Etwas, das ist erhabener über dies und das als der Himmel über die Erde. Darum benenne ich es nun auf eine edlere Weise, als ich es je benannte, und doch spottet es sowohl solcher Edelkeit wie der Weise und ist darüber erhaben. Es ist von allen Namen frei und aller Formen bloß, ganz ledig und frei, wie Gott ledig und frei ist in sich selbst. Es ist so völlig eins und einfaltig, wie Gott eins und einfaltig ist, so daß man in keinerlei Weise dahinein zu lugen vermag.“



1.2 Transkategorialität

Die Konsequenzen für den die unio erfahrenden Mystiker sind nicht gering. Ist einmal das kreatürliche „Ich“ als Urheber aller Differenzierungen und somit aller Kategorien entgrenzt und aufgelöst, findet sich das Denken in einem differenz- und kategorielosen Zustand wieder. Differenzierungen und das Einordnende der Kategorien bedeuten immer auch das Vorhandensein eines differenten Anderen – ein Zustand, der gerade in der unio aufgehoben wird. In der Einheit werden keine Unterscheidungen mehr vollzogen, denn Gott ist „weder dies noch das“.

Wird also der kreatürliche Wille, das „Ich“, aufgehoben, so „kehrt die Kategorialität, sich selbst transzendierend, in ihren von keinem Willen mehr bestimmten Ursprung, in den nicht-geschaffenen, bildlosen göttlichen Grund zurück.“ Was hier demnach als Einheit erfahren wird, ist ein Abgrund menschlicher Existenz, denn die gewohnten Koordinaten menschlicher Orientierung werden über Bord geworfen: Ich-Identität, Gegenständlichkeit, Raum und Zeit sind als Rahmen für eine Ich-Konstitution nicht mehr vorhanden, sondern gehen im Einen auf – der Mystiker transzendiert somit die alltäglichen Erfahrungsmuster auf radikalste Weise.

Auch gibt es keinerlei Kausalität mehr in der Gottheit: „So, wie Gott ohne Warum wirkt und kein Warum kennt, – ganz in der gleichen Weise, wie Gott wirkt, so auch wirkt der Gerechte ohne Warum; und so, wie das Leben um seiner selbst willen lebt und kein Warum sucht, um dessentwillen es lebe, so auch kennt der Gerechte kein Warum, um dessentwillen er etwas tun würde.“

Die Erkenntis dieser Grenzerfahrung ist von einer völlig anderen Art, als Erkenntnisse „normaler“ Erfahrung, denn für Letztere besteht ja in der Regel ein Gerüst aus mehr oder minder festgelegten Koordinaten oder gebräuchlichen Prämissen, so dass ein Vergleich und damit eine Unterscheidung von verschiedenen Erfahrungen gemacht werden kann. Die Erfahrung der unio hingegen scheint nicht vergleichbar zu sein, hebt sie doch die menschlichen Orientierungsmuster auf und entleert das gewöhnliche Begriffskorsett:

„Das abgeschiedene, lautere Erkennen Gottes ist somit ein Erkennen anderer Qualität als das Erkennen des Unterschieds, der Vielheit, des Kreatürlichen und der Bilder. Dieses bildlose und einfältige Erkennen ist, unter den Bedingungen des Unterschieds, ein Nicht-Erkennen, eine Aufhebung von Erkenntis (wenn man darunter Unterscheiden, Feststellen und Kategorialisierungen versteht), es ist zugleich aber auch das Wahrnehmen und Gewiß-Werden einer in sich nicht-unterschiedenen, transkategorialen Wirklichkeit. Diese andere Wirklichkeit, die Wirklichkeit der All-Einheit und des aufgehobenen, entgrenzten Ich, wird von Eckhart [...] als die eigentliche, höhere, wahre, ewige und göttliche Wirklichkeit verstanden, die hinter der vordergründigen, vielgestaltigen, scheinbaren, kreatürlichen und vergänglichen Wirklichkeit steht, freilich mit dieser vermittelt ist und in ihr aufblitzt.“

Für die weitere Untersuchung ist es wichtig festzuhalten, dass bei der Erfahrung der unio das „Ich“ des Mystikers extrem relativiert und schließlich zugunsten der Einheit aufgelöst wird, was unter anderem zur Folge hat, dass das „Ich“ als letzter Bezugspunkt des mystischen Sprechens eine vom konventionellen Sprachgebrauch reichlich abweichende Dimension, und damit eine gewissermaßen „doppelte“ Perspektivik erhält. Das kreatürliche „Ich“ transzendiert in der unio in das einzig wahre „Ich“ der göttlichen Einheit hinein. Beide Seinsweisen stehen in einem reziproken Verhältnis zueinander, denn „[...] eine Einigung des Menschen mit Gott ist nicht denkbar ohne die Voraussetzung, daß Gott selber in seinem Geschaffenen als ‚immanente Transzendenz’ gegenwärtig ist. Dieser paradoxen Umschreibung der Ähnlichkeit-Unähnlichkeit zwischen Gott und Mensch entspricht auf seiten des Menschen eine ebenso festzulegende ‚transzendente Immanenz’.“

Mensch-Sein bedeutet für Eckhart vor allem, die Transzendenz des menschlichen Wesens zu erkennen – in dem Sinne, dass er sich selbst in der Überwindung seines eigenen Selbst als Mittel zur unio erfährt. Er schreibt: „[...] alle Kreaturen ‚mitteln’. Es gibt zweierlei ‚Mittel’. Das eine ist jenes, ohne das ich nicht in Gott zu gelangen vermag: das ist Wirken und Gewerbe in der Zeit, und das mindert die ewige Seligkeit nicht. Das andere ‚Mittel’ ist dies: eben jenes aufzugeben. Denn dazu sind wir in die Zeit gestellt, daß wir durch vernunfterhellendes Gewerbe in der Zeit Gott näher und ähnlicher werden.“

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis die menschliche Erfahrung der Transzendenz zur Sprache steht.


2 SPRACHE

2.1 Sprachliche Selbstreferenz innerhalb der unio mystica

Begriffliches Denken und Sprechen spielt in der Erfahrung von Wirklichkeit eine – wenn nicht die – bedeutende Rolle. Sprache ist das konstitutive Medium, in dem sich menschliches Selbstsein in Austausch mit „Welt“ dynamisch entwickelt: „Erfahrungskontexte werden somit grundsätzlich in Zeichensysteme bzw. Symbolismen repräsentiert. Was für die Sprache gilt, gilt in allgemeiner Weise für jegliche Symbolik."

In einer stetigen Differenzierung von Begrifflichkeiten ist das Symbolsystem Sprache das Mittel, mit dem wir uns die Wirklichkeit aneignen – allerdings ist ein Mittel eben immer auch nur ein Werkzeug, welches gebraucht wird, um etwas anderes zu erreichen. Sprache hat also immer eine hinweisende, vermittelnde Funktion, und die damit einhergehenden Konsequenzen können daher auch als allgemeingültig für den Umgang mit Symbolen betrachtet werden: „Überdies ist in der Mystik das Sprachproblem repräsentativ für das Symbolproblem, d.h. für das Problem der Vermittlung menschlicher Orientierung und Orientiertheit schlechthin.“ Symbole repräsentieren immer etwas anderes, was sie nicht selbst sind, ihre strukturelle Eigenschaft ist die des Verweises, sie sind Vermittler zwischen zwei Bereichen.

Was nun anscheinend in der unio erfahren wird, ist ein Zerfallen des konstitutiven Elementes der Sprache: war sie vorher ein Mittel, um je Teilaspekte der Wirklichkeit zu beschreiben, so scheint die Erfahrung der unio nahezulegen, dass das begriffliche Sprachwerkzeug nun nicht mehr in seinem ursprünglichen und normal gebräuchlichen Sinn gebraucht wird. „Normal gebräuchlich“ meint, dass Sprache immer nur einen Teil der Wirklichkeit repräsentieren kann, nie ihre Totalität. Gott aber ist das absolute Eine: „In Gott ist nichts als Eines, und das Eine ist unteilbar. Wenn man aber etwas anderes als Eines nimmt, dann ist es Teilbares und nicht das Eine.“

Sprache bedarf aber immer des Anderen, Differenten, sie „beschreibt immer einen Gegenstand, der ihr entgegensteht; sie kann nicht anderes als von außen an etwas herangehen.“ Die Erfahrung der unio ist nun aber anscheinend eng mit dem menschlichen Gebrauch von Symbolen bzw. von Sprache verbunden: Die Texte legen nahe, dass die stellvertretende Funktion von Sprache hier aufhört, und die begrifflich nie fassbare Totalität der Wirklichkeit (sei es nun in den Begriffen „Gott“, „Sein“ oder „Wirklichkeit“) anscheinend direkt erfahren wird. In der All-Einheit kann es ja auch schließlich keine Repräsentation, keinen Verweis mehr von dem Einen zum Anderen geben, sondern – wenn man versucht, dies sprachlich zu formulieren, gerät man stets leicht ins Schlingern – das Hinweisende weist auf sich selber hin, die Zeichen bezeichnen sich selbst, denn in Gott gibt es kein Anderes. Die Mittelhaftigkeit des Menschen in seinem Zugang zur „Welt“ und der Welt zum Menschen mittels (Sprach-)Symbolik erfährt hier anscheinend sich selber: der (mystische) Mensch wird sich (s)einer Transzendenz bewußt.

Die Erfahrung der Totalität in der All-Einheit sprengt das alltägliche Korsett des begrifflich-kategorialen Weltverständnisses und mündet in einer extremen Selbstbezüglichkeit, wobei dieses „Selbst“ total ist und nicht im Sinne eines „Selbst“ des kreatürlichen „Ich“ zu verstehen ist: „Ego, das Wort ‚Ich’, ist niemandem eigen als Gott allein in seiner Einheit.“

Wie oben bereits erwähnt, wird diese Erfahrung gerade erst durch den Gebrauch von Symbolen bzw. Sprache und deren Transzendenz ermöglicht. Dies hat natürlich eine Rückwirkung für den Sprachgebrauch desjenigen, der die Totalität der unio erfahren hat: in der absoluten Selbstreferenz wird der Mittel-Charakter und die Bedingtheit der Sprache deutlich. Diese Erfahrung, die eine qualitative Veränderung im Umgang mit Sprache mit sich bringt, einer anderen Person wiederum sprachlich mitzuteilen ist nicht möglich: „Der Mensch ist zwar fähig, die göttliche Sprache zu hören, aber er kann sie selbst nicht ausdrücken. Er kann sie nicht dazu verwenden, eine Beschreibung oder Erklärung der unio zu liefern und die unio somit anderen Menschen, die die göttliche Sprache nicht oder nur unzureichend vernommen haben, nahezubringen. Wenn der Mensch spricht und sein Denken sprechend mitteilt, dann kann er das nur in der kreatürlichen Sprache tun.“

Die unio kann sprachlich nicht vermittelt werden, wenn unter Vermittlung das „von und über die unio sprechen“ gemeint ist: „Es ist also von vornherein unmöglich, einen Standpunkt zu finden, von dem aus der Mensch diese göttliche Sprache völlig überblicken, begreifen und beschreiben könnte, denn sobald seine menschliche Sprache etwas beschreibt, grenzt sie ein: sie muss unterscheiden, trennen, in Gegensätzen reden; notwendigerweise entsteht dabei ein vom Subjekt abgelöstes Objekt.“ Dies trifft für die Perspektive der Kreatürlichkeit zu: wenn von und über die unio gesprochen wird, öffnet dies Tür und Tor für Mißverständnisse.

Allerdings kann sehr wohl „in und aus ihr“ gesprochen werden, denn für denjenigen, der die All-Einheit erfährt, heben sich ja die Differenzen auf. Die Einheit, von der Eckhart spricht, darf ja nicht als kategoriale Einheit gedacht werden. Er sagt: „Die Einheit ist der Unterschied, und der Unterschied ist die Einheit. Je größer die Unterschiedenheit ist, um so größer ist die Einheit, denn das (eben) ist die Unterschiedenheit ohne Unterschied. Wären da tausend Personen, so wäre doch da nichts als eine Einheit.“

Was hier angedeutet werden soll, kann man vielleicht in etwa so charakterisieren: In der Gleichsetzung von Einheit (= Gleichheit) und Unterschied (= Viel-heit), einer Gleichsetzung also auch von Unbedingtem und Bedingtem, schimmert eine Logik durch, die mit dem aristotelischen Satz vom Widerspruch nicht mehr viel gemein hat: In einer Welt nämlich, in der die Gegensätze gleichgesetzt werden, ist die Gleichheit eine absolute Gleichheit, welche einen absoluten Unterschied mit einbeschließt. Bezogen auf das Verhältnis zwischen Kreatürlichkeit und der Erfahrung der unio mystica bedeutet dies, dass das kreatürliche „Ich“ und die ungeschaffene „Gottheit“ absolut verschieden und gleichzeitig absolut identisch sind.

Diese doppelte Perspektive wirkt sich natürlich auch im Sprechen des Mystikers aus. In der kategorialen Sprache kann es aufgrund ihrer Differenzierungen immer ein richtig oder falsch geben; innerhalb der unio hingegen gibt es keine Unterscheidungen mehr: auch die falsche Beschreibung der unio ist wahr, wenn unter wahr die totale Einheit, also die Aufhebung der Differenz zwischen wahr und falsch verstanden wird. Die Aufhebung des Differenten und die Gleichzeitigkeit zweier verschiedener Perspektiven beschreibt Eckhart wie folgt: „Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben.“

Die Predigten und Texte Eckharts versuchen also in gewissem Sinne die absolute Selbstreferenz zu repräsentieren, wobei dies unter einer doppelten Perspektive von „Ich“ und „Gottheit“ geschieht: „Das Problem der sprachlichen Vermittlung mystischen Denkens erfährt seine Schärfe offensichtlich dadurch, daß ein die Erfahrung qualitativ verwandelnder Erfahrungsprozess beschrieben wird, wobei die Beschreibung sich vermutlich deshalb nicht an eine durchgängig gleichbleibende und ohne weiteres objektivierbare Terminologie hält, weil sie selbstreferentiell ist und zwischen der Thematisierung von partialem Ich und dessen Entgrenzung in die All-Einheit (die genaugenommen ein Unbegriff bzw. ein Grenzbegriff des selbstreferen-tiellen Denkens ist) oszilliert.“


2.2 Schweigen

Als folgerichtig – so könnte man meinen – ergibt sich also, dass man über Gott bzw. Gottheit nicht reden kann und es auch bleiben lassen sollte: redet man nämlich von und über die unio, so hat man sie zum Gegenstand und es besteht wieder eine Differenz, die im Gegensatz zur Einheit steht. Diese Unmöglichkeit, Gott zu benennen, wird bei Eckhart auch häufig thematisiert, wobei er die lange Tradition der negativen Theologen fortsetzt. Er schreibt: „So auch ist der unergründliche Gott ohne Namen, denn alle die Namen, die ihm die Seele gibt, die entnimmt sie ihrem Erkennen. Hierzu sagt ein heidnischer Meister in einem Buche, das ‚das Licht der Lichter’ heißt: Gott ist überseiend und unbegreifbar und unerkennbar, soweit es sich um natürliches Erkennen handelt.“

Aufgrund der Unmöglichkeit, die strukturlose Einheit in kategoriale Begrifflichkeiten zu fassen, wird dem Schweigen eine besondere Bedeutung zugedacht: „Die aber, die ihn [Gott] nicht aussagen wollen, die haben recht, denn kein Wort vermag Gott auszudrücken; wohl aber sagt er sich selbst aus.“

Das mystische Schweigen ist aber keinesfalls „stumpf“, sondern ein „erfülltes“ in dem Sinne, dass die Grenzen des kategorialen Denkens/Sprechens in der unio erfahren wurden. Dementsprechend ist der Weg zur mystischen Erfahrung oft ein höchst „rationaler“, weil die Möglichkeiten des begrifflichen Denkens in ihrer Gänze erst einmal durchschritten werden müssen, um letztendlich ihren Mittel-Charakter zu erfahren.

Warum aber in Gottes Namen predigt und schreibt Eckhart sein Leben lang von fast nichts anderem als der unio mystica?


2.3 Reden

In der allumfassenden Einheit kommte es – wie erwähnt – zu einer Gleichheit des Widersprüchlichen. Diese Struktur der Gleichzeitigkeit des Widersprüchlichen kann aber in der Sprache praktiziert werden, allgemein in der rhetorischen Figur des Paradox, aber auch hier im speziellen wenn vom Schweigen geredet wird. Diese Gegensätze zwischen dem, „was der Text predigt, und dem was er praktiziert“ entsprechen in ihrer Struktur (nämlich der Einheit des sich Widersprechenden) der doppelten Perspektivik der Einheitserfahrung, ohne dass begrifflich festgelegt wird, was die Gottheit konkret ist. Das Reden bzw. die Sprache wird nicht als Mittel dazu benutzt, etwas klar und deutlich zu beschreiben, sondern der Mittelcharakter der Sprache soll innerhalb der Rede deutlich gemacht werden, um diesen Mittelcharakter zu transzendieren.

In dieser Spannung, die zwischen performativer und konstitutiver Rede bei Meister Eckhart herrscht, ist auch ein Analogon zum Selbstverständnis des Mystikers zu sehen, nämlich als das eines Menschen zwischen Transzendenz und Immanenz sowie als ein „Mittel“, um die unio überhaupt erst zu vollziehen. Man kann also sagen, „daß die mystische Rede nicht bloß aussagt und beschreibt, sondern performativ die metanoia zu vollziehen sucht, daß sich also im mystischen Sprechen die Bedeutung der Ausdrücke und der Sinn des Sprachspiels wandeln. Es schient daher unrichtig zu sein, die mystische Erfahrung schlechthin jenseits der Sprache anzusiedeln, weil diese Erfahrung – trotz aller Schwierigkeiten verbaler Umsetzung – durch und durch sprachlich vermittelt ist. Mystisches Sprechen ist somit kein nachträglicher Akt gegenüber der mystischen Erfahrung, sondern deren Mit-Konstituens.“

Indem die mystische Rede etwas behauptet und das Behauptete immer wieder relativiert oder gar aufhebt, wird die Rede von der unbenennbaren Gottheit wieder möglich. Diese Rede aber stellt nichts fest, sondern deutet nur an. Die Gottheit ist ja schließlich mittellos und unbedingt, wobei – um sich die Konsequenz der unio noch einmal zu verdeutlichen – aus der Perspektive der Gottheit es auch nichts mehr mitzuteilen gibt, da die Selbstreferenz total ist: es gibt weder ein (geschaffenes) Ich noch ein (geschaffenes) Du, aber gleichzeitig ist man das (eine) Ich und das (eine) Du und redet mit sich selbst: „Meister Eckharts Predigt […] versteht sich als mittelndes Zeichen für einen Text, der sich von selbst versteht, nur von seinem Selbst, und den niemand in sich aufnehmen kann, der nicht in ihn aufgenommen ist, einen Text also, der von selbst jedem sein Selbst sagt.“

3 RHETORIK

3.1 Allgemeines

Diese Position des Vermittelnden, Unabgeschlossenen und Dynamischen auszudrücken ist mit sprachlichen Mitteln der Rhetorik durchaus möglich. Weil die mystische Sprache eben nichts Feststehendes, Kategoriales mitteilen möchte, weicht sie häufig von der „normalen“ Sprache ab, indem sie hyperbolische, apophatische und paradoxe Redefiguren verwendet, welche auf den ersten Blick nur ein wirres Durcheinander anrichten. Allerdings korrespondiert der hinweisende Charakter der eingesetzten rhetorischen Mittel mit der Transzendenz des geschaffenen Menschen und der Sprache, die – im mystischen Verständnis – ebenfalls ein „Mittel“ sind.

In der scholastischen Tradition kann man auf drei Wegen die Gottheit beschreiben: mit Hilfe der via positionis, der via negationis und der via eminentiae. Die via positionis beschreibt Gott mit überwiegend anthropomorphen Eigenschaften, was bei Eckhart allerdings so gut wie kaum vorkommt. Allerdings kann die via positionis auch dazu benutzt werden, um mit Hilfe von Wiederholungen, „reihendem Häufen“ von anthropomorphen Eigenschaften oder von tautologischen Figuren darauf hinzuweisen, dass man alle Beschreibungen dazu verwenden kann, um zu zeigen, dass es „die einzige, richtige Bezeichnung für das Gemeinte nicht gibt, weil alle zutreffen.“

Die via negationis ist das Gegenstück zur via positionis: Wie in Kapitel 2.2 beschrieben, ist Gott (und auch das „Fünklein“ in der Seele) namenlos und auch nicht benennbar, sie deutet somit auf die Grenzen kreatürlicher Sprache hin. Die via negationis weist „durch immer mehr Bestimmungen darauf [hin], dass es die einzige richtige Bezeichnung für das Gemeinte nicht gibt, weil keine zutrifft.“ Die via negationis ist das bevorzugte rhetorische Mittel der negativen Theologen, weil sie am ehesten die menschliche Sprachnot in Bezug auf die Beschreibung des Göttlichen verdeutlicht. Allerdings ergibt sich für die negativen Theologen das Problem, durch die Aufzählung dessen, was Gott alles nicht ist, nicht ein Nichts zu beschreiben. Denn ganz im Gegenteil wollen sie ja die Fülle der Gottheit in der unio auf irgendeine Weise kommunizieren. Eckhart macht dies an verschiedenen Stellen deutlich: „Gott ist der Gegensatz zum Nichts durch die Vermittlung des Seienden.“ Oder er beschreibt die verschiedenen Deutungsperspektiven von „Leere“ und „Fülle“: „Leer sein aller Kreatur ist Gottes voll sein, und voll sein aller Kreatur ist Gottes leer sein.“ In der unio hingegen hebt sich der Gegensatz zwischen via negationis und via positionis auf. Diesen beiden Wegen folgt die via eminentiae, die mit hyperbolischen Mitteln die Gottheit preist.


3.2 Das Paradox

Ganz allgemein wird die Präsenz des Paradoxen in der „Wirklichkeit“ wohl eher übersehen bzw. verdrängt. Jedoch scheint die menschliche Erfahrung von „Ich“ und „Welt“ eine des ständigen Widerspruchs zu sein, wie das in der klassischen Problematik von menschlicher Freiheit und Determinanz deutlich wird. Der Mensch erfährt im Alltag beides: Zum einen werden Entscheidungen getroffen, deren Entstehen aus freiem und eigenen Entschluss erfahren werden, zum anderen gibt es Situationen, in denen man sich dem Gegebenen ohne viel „eigenen“ Handlungsspielraum fügen muss. Mit der permanenten Erfahrung des Dazwischen kann man also grob verallgemeinernd durchaus sagen, dass „das Paradox im Wirklichen allgegenwärtig [ist]“.

Wie aus dem bereits Erläuterten ersichtlich wird, besitzt das Paradox als rhetorische Figur in den Texten Eckharts eine besondere Rolle. Das Paradox scheint sich besonders gut dazu zu eignen, das Grundthema der Mystiker zu erhellen: die Einheit in der Vielheit. In seiner strukturell auf diesen Sachverhalt hindeutende Funktion ist das Paradox „die Suche oder Erwartung der Synthese.“ Das Paradox beinhaltet die Zusammenführung von sich (scheinbar) Widersprechendem; die paradoxe Wirkung ensteht meist dadurch, dass uns eine Seite oder Ebene des sich Widersprechenden vertraut vorkommt, in der Vereinigung mit dem Gegenteil jedoch ein Unverständnis hervorgerufen wird.

Wenn also durch „Paradoxien etwas verborgen, zugleich aber auch geoffenbart wird, was ist es dann, was sie uns offenbaren, und wie machen sie das? Können wir irgendwelche Hinweise geben, wie man erkennen kann, ob es erhellende Unstimmigkeiten, aufschlußreiche Absurditäten sind oder nicht?“ Ramsey teilt die Paradoxien in zwei Gruppen auf: vermeidbare und unvermeidbare Paradoxien. Vermeidbare Paradoxien sind dadurch aufzulösen, dass auf ihre unterschiedlichen Prämissen zurückgeführt werden kann und sich somit die Paradoxie auflöst. Unvermeidbare Paradoxien werden von Ramsey in logisch erforschbare und logisch nicht erforschbare eingeteilt, wobei er die religiösen Paradoxien in der ersten Kategorie sieht. „Logisch erforschbar“ meint allerdings nicht, dass das Paradox sich verflüchtigt, sondern im Gegenteil, dass der „real bestehende Widerspruch ein Hinweis darauf ist, dass das Geschehen über sich selbst hinaus auf eine andere Bedeutungsebene verweist und gerade wegen dieses (durch das Paradox geförderten) Verweisenkönnens geglaubt zu werden verdient.“


3.2.1 Das Paradox bei Eckhart

Obwohl die scholastische Philosophie nicht wenige paradoxe Sachverhalte bereithält, taucht der Begriff des Paradox nirgends auf. Meister Eckhart verwendet für solche Situationen, die der normalen Alltagserfahrung scheinbar widersprechen, den Ausdruck „mirabile“ – wunderlich: „Es ist ein wunderlich Ding, daß etwas ausfließt und doch drinnen bleibt, das ist gar wunderlich; daß alle Kreaturen ausfließen und doch drinnen bleiben, das ist gar wunderlich; was Gott gegeben hat und was Gott zu geben gelobte, das ist gar wunderlich und ist unbegreiflich und unglaublich. Und dem ist recht so; denn, wäre es begreiflich und glaubhaft, so stünde es nicht recht darum. Gott ist in allen Dingen. Je mehr er in den Dingen ist, um so mehr ist er außerhalb der Dinge; je mehr drinnen, um so mehr draußen, und je mehr draußen, um so mehr drinnen.“

Gott ist also weder das eine noch das andere, in ihm besteht eine Einheit von Bestimmung und Bestimmungslosigkeit: „Gott ist sowohl transzendent als auch immanent. Das ist das kritische theologische Paradox.“ Die in Kapitel 2.1 besprochene absolute Selbstreferenz der unio zeichnet sich durch eine Gleichzeitigkeit von (kreatürlicher) Leere und (göttlicher) Fülle aus, jedoch „dort, wo eine Selbstbezüglichkeit mit totaler Negation vorliegt, muss ein Paradox entstehen."

Mit der sogenannten Quatenus-Methode lassen sich nun die allermeisten sprachlichen Paradoxien auflösen, nämlich indem mit dem Wort „insofern“ die unterschiedlichen Bedeutungsebenen auseinander gehalten werden. Auf das obige Eckhart-Zitat bezogen würde dies wie folgt funktionieren: Je mehr Gott – insofern er als Gottheit verstanden wird – in den Dingen ist, um so mehr ist Gott – insofern er als kreatürlich-kategorialer Begriff verstanden wird – außerhalb der Dinge.

Indem also die jeweilige Perspektive berücksichtigt wird, können diese Widersprüche erhellt werden. Man sieht auch, dass es sich hier um Ramseys unvermeidbare, jedoch logisch erforschbare Widersprüche handelt. Für diese gilt: Kann man die unterschiedlichen Bedeutungsebenen auf der sprachlichen Ebene durchaus trennen und somit verständlich machen, so ändert dies jedoch nichts an der ontologischen Paradoxie, die nach wie vor bestehen bleibt: „Da nun aber die Standpunkte (Gott, Mensch), von denen her gesprochen wird, letztlich (in der mystischen Einung, die für Eckhart kein punktuelles Ereignis ist) doch eins sind, sind die Erklärungen mit Hilfe des Perspektivenwechsels vorläufig, da sie das eigentliche Zentrum der Aussage Eckharts, das Einssein des Menschen mit Gott, gerade nicht erklären können – es bleibt ein grundsätzliches Paradox.“ Das Paradox ist also dazu imstande, die qualitativ veränderte Sprach- und Denkerfahrung des Mystikers auszudrücken, indem es in seiner Struktur auf sprachlicher Ebene der Struktur des Oszillierens zwischen göttlicher und kreatürlicher Perspektive auf ontologischer Ebene entspricht.


3.3 Vermittlung: Analogie und Metaphorik

Da man die Gottheit nicht beschreiben kann, ist in den Texten Eckharts eine extreme Ansammlung rhetorischer Mittel der uneigentlichen Rede auszumachen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht wörtlich genommen werden wollen, sondern in ihrer Bildhaftigkeit – die selbst oft auch wieder zurückgenommen wird – auf ihren Mittel-Charakter aufmerksam machen. „Mittel-Charakter“ ist hier auf zwei Weisen zu verstehen: Zum einen im Sinne eines bloßen Werkzeuges zur Beschreibung, zum anderen im Sinne der Mitte zwischen Immanenz und Transzendenz.


3.3.1 Analogie

Die Analogie eignet sich dafür, Unbekanntes durch Bekanntes zu beschreiben: aufgrund einer Ähnlichkeit von Eigenschaften auf einer Ebene wird schließlich auf eine Übereinstimmung von Eigenschaften auf einer anderen Ebene geschlossen. Es soll also eine Erkenntnis von einem Etwas durch sein Verhältnis zu etwas Bekanntem vollzogen werden, wobei der Rückgriff auf die Ähnlichkeit die Analogie dahingehend relativiert, dass sie nur Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann.

Die Analogie ist demnach auch eine Form des Dazwischen, denn in ihr kommen übereinstimmende und divergierende Elemente vor. Wird also von Gott mittels einer Analogie gesprochen, so kann einerseits ein in gewissen Grenzen nachvollziehbares Abbild Gottes gegeben werden, andererseits wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass es eben nur ein Abbild ist. Als Beispiel mag folgendes Gleichnis Eckharts dienen:

„Ich nehme ein Becken mit Wasser und lege einen Spiegel hinein und setze es unter den Sonnenball; dann wirft die Sonne ihren lichten Glanz aus der Scheibe und aus dem Grunde der Sonne aus und vergeht darum doch nicht. Das Rückstrahlen des Spiegels in der Sonne ist in der Sonne selbst Sonne, und doch ist er (=der Spiegel) das, was er ist. So auch ist es mit Gott. Gott ist in der Seele mit seiner Natur, mit seinem Sein und mit seiner Gottheit, und doch ist er nicht die Seele. Das Rückstrahlen der Seele, das ist in Gott Gott, und doch ist sie (=die Seele) das, was sie ist."

Der die unio erfahrende Mystiker sieht sich also vor folgende Situation gestellt: das Unbekannte wurde mittels des Bekannten – und durch die Aufgabe des Bekannten – erfahren. Das Unbekannte kann jedoch nicht mittels kategorialer Begrifflichkeit festgehalten werden. Die vermittelnde Analogie kann demnach von zwei Perspektiven aufgegriffen werden: einerseits von der „normalen“ kategorialen Perspektive (dies entspricht der kreatürlichen Sichtweise in bezug auf Gott, der sog. analogia proportionis), andererseits von der jegliche Perspektivik und Begrifflichkeit transzendierenden unio (dies entspricht der Perspektive Gottes auf die Kreatürlichkeit, der sog. analogia attributionis). Dass "Eckhart" wirklich aus jener letzten Wirklichkeit heraus die Welt betrachtet wird in seinen Predigten recht deutlich.

Wenn auf die Trennung der Perspektiven verzichtet wird – was allerdings nur auf sprachlicher, nicht auf ontologischer Ebene vollzogen werden kann – , dann kann diese mystische Betrachtung der Wirklichkeit mittels der analogia attributionis für ein kategoriales Denken nur paradox und verwirrend erscheinen: „Wiederum ist nichts einem andern so unähnlich und ähnlich zugleich wie Gott und Geschöpf. [...] Weil er sich also durch seine Ununterschiedenheit unterscheidet und durch seine Unähnlichkeit ähnlich wird, sind sie um so ähnlicher, je unähnlicher sie sind. Je mehr auch einer vom Unaussprechbaren spricht, desto weniger spricht er von ihm, insofern es unaussprechbar ist, wie Augustin im 1. Buch von der christlichen Lehre sagt. So bejaht ferner die Zeit, wer die Zeit verneint, denn das Verneinen der Zeit geschieht in der Zeit.“



3.3.2 Metaphorik

Auch die Metaphorik Eckharts kommt in ihrer Stellung des Dazwischen zum Tragen, wird doch bei einer Metapher ein Ausdruck aus seinem bekannten Gebrauchsbereich auf einen fremden Gebrauchsbereich übertragen. Die traditionell scholastische Auffassung der Metapher war eher statisch, das heißt, dass der Platz, den die Metapher in einer Aussage ausfüllt, eigentlich auch von einem anderen Ausdruck angenommen werden könnte. Die Metapher hat in diesem Kontext eher eine ausschmückende und überzeugende Aufgabe zu erfüllen. Die „moderne“ Auffassung der Metaphorik hingegen sieht ihre Funktion darin, dass hier zwei unterschiedliche Sinnbezirke miteinander verbunden werden, wodurch etwas Neues entsteht. Innerhalb dieser Auffassung wird der Metapher somit die Rolle des kreativen Erkenntnismittels zugedacht, und Meister Eckhart scheint sie genau in diesem Sinne zu verwenden.

Allerdings unterscheidet sich sein Umgang mit Metaphern von der gewöhnlichen Verwendung: er hebt ihren Anspruch auf, etwas Neues zu erkennen – das „Neue“ ist nämlich schon in allem „Alten“ vorhanden und kann nicht im gebräuchlichen Sinne „erkannt“ werden. Eckharts Metaphorik zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich selbst immer wieder zurücknimmt und deshalb paradox erscheint: „[...] wo das Erkennen und das Begehren enden, da ist es finster, da leuchtet Gott.“

Das Anliegen der Metaphern bei Eckhart scheint dann auch eher zu sein, die metaphorische Dynamik und die Bewegung des Transzendierens im Gebrauch der Metapher ausdrücken zu wollen. So beschreibt er die Einheitserfahrung der unio in folgenden Worten: „Jesus offenbart sich zudem mit einer unermeßlichen Süßigkeit und Fülle, die herausquillt aus des Heiligen Geistes Kraft und überquillt und einströmt mit überfließend reicher Fülle und Süßigkeit in alle empfänglichen Herzen. Wenn Jesus sich mit dieser Fülle und mit dieser Süßigkeit offenbart und mit der Seele vereinigt, so fließt die Seele mit dieser Fülle und mit dieser Süßigkeit in sich selbst und aus sich selbst und über sich selbst und über alle Dinge hinaus gnadenweise mit Macht und ohne Mittel zurück in ihren ersten Ursprung.“


Zu betonen ist, dass mit dem Konstrukt des Perspekivwechsels auf sprachlicher Ebene hilfsweise auseinandergehalten werden kann, was auf ontologischer Ebene ein echtes Paradox darstellt: die Aufhebung aller Differenzierungen in der absoluten Einheit der unio. Liest man Eckhart, so fällt auf, dass seine Predigten und Texte eine ausgeprägt appelative Struktur besitzen: einerseits durch die zunächst provokativ anmutenden Aussagen („Gott und ich, wir sind eins“ ), andererseits durch die von paradoxen Wendungen verursachten Leer- und Unbestimmtheitsstellen.

Der Rezipient wird aufgefordert, eine Lösung für dieses Rätsel zu finden, nämlich für das Rätsel, was denn genau dieses Etwas ist, was Eckhart beschreibt, und von dem er sagt, dass es nicht beschrieben werden kann. Das Paradox ist Widerspruch, der dazu auffordert, gelöst zu werden. Die Leerstellen fordern dazu auf, dass man sie füllt. Was aber ist die Lösung für dieses geheimnisvolle Rätsel?

Es ließe sich vielleicht sagen, dass das „Unausdrückbare“ Gottes sich in allem ausdrückt und aufhört ein Geheimnis zu sein, falls man „sich selbst gelassen hat“, wie Eckhart es formuliert. Im normalen Verständis des Geheimnisses gilt es ja immer etwas zu entdecken, was aber zwangsläufig eine Trennung bedingt: es gibt den Suchenden und das zu Suchende, den Entdecker und das zu Entdeckende. Im Verständnis der negativen Theologen scheint das Geheimnis darin zu bestehen, das Geheimnis nicht zu suchen, denn erst durch das Suchen entsteht das Geheimnis. Die mystische Rede soll in diesem Sinne also gar nicht erst „verstanden“ werden – denn das würde ein Abschließen, eine Einordnung und damit wieder Trennung bedeuten –, sondern ihre Funktion scheint darin zu liegen, durch ein Abarbeiten von kategorialen Begrifflichkeiten schließlich deren Aufhebung zu erfahren:

„Im Verlauf der Lektüre macht also der Geist des Lesers einen Prozess durch, der ihm die Unbeschreibbarkeit des Gemeinten durch widersprüchliche, sich gegenseitig aufhebende Beschreibungen erfahrbar macht. Sein Verstand arbeitet daran, sich selbst aufzuheben; sich in sein Ungenügen fallen zu lassen und dieses Unbegreifliche jenseits seiner eigenen Fähigkeit (nicht aus Natur, sondern aus Gnade) in sich einzulassen.“

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@&&&:
Löschen? Auf gar keinen Fall. Ich denke eher drüber nach, Ihren Kommentar als Beitrag auf die Startseite zu stellen, damit er hier nicht so hinter ferner liefen versauert.

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Peugeot 308 SW: Wenn sie ihn fahren, werden sie verstehen.

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@wuerg:
Haha, der war gut. ;-)

@&&&: Die Erfahrung der Einheit mit Gott ist vielen Mystikern zuteil geworden, nicht nur christlichen Vertretern. Denken wir etwa an Mansur Al-Halladsch, der bei seinen Zeitgenossen Anstoß erregte mit den Worten: "Unter meinem Turban ist nichts außer Allah." Wer diese Erfahrung nicht teilt, dem muss so ein Satz natürlich wie Blasphemie oder Wahnsinn in den Ohren klingen.

Mir kommt in diesem Zusammenhang auch "Ein Kurs in Wundern" in den Sinn, der uns versucht zu lehren, unsere vermeintliche Trennung von Gott als Illusion zu begreifen. Dabei gelte es, das Ego und seine Mechanismen als größtes Hindernis auf diesem Weg zu erkennen und schrittweise auszuschalten mit Hilfe der "Sühne" (die man besser "Aussöhnung" genannt hätte). Der Kurs in Wundern wäre mit Sicherheit leichter verständlich, hätten dem Verfasser die rhetorischen Mittel des Meister Eckhart zu Gebote gestanden. So ist es leider eine ziemlich sperrige und zähe Kiste. Aber ich denke, es könnte trotzdem der Mühe wert sein, sich mal darauf einzulassen.

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Sie haben Recht; warum nicht einfach mal an Mansur Al-Halladsch denken.

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Ich mach hier mal einen extra Kommentarfaden auf.

Mark sagte: "Schon allein der Weg von Gott zu einer (oder gar der angeblich wahren oder legitimen) Kirche hat sich mir so nicht gezeigt, und ich betrachte Kirchen mitsamt ihren Dogmen und Regelsammlungen allesamt mehr als Menschenwerk denn als Gotteswerk."

Diese Ansicht hatte ich auch. Wenn ich die anderen Kirchen betrachte, dann sehe ich christliche Prinzipien, eingefasst in Regeln, Traditionen und Handlungen, die mir nur wenig mit den Prinzipen zu tun haben, auf denen sie eigentlich bauen sollten.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dies für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage nicht gilt. Alles hat seinen Basis und seinen Schlussstein in Jesus Christus und seinen Lehren. Es gibt keine festen Gebete, ausser den beiden Gebeten, die das Abendmahl (Brot und Wasser) segnen sollen. Alle anderen Gebete werden frei von den Mitgliedern gesprochen. Da läuft keiner mit einer Glocke von der einen Seite des Altars zur anderen Seite (wir haben gar keinen Altar). Wir stehen nicht auf, setzen uns wieder, nur um dann wieder aufzustehen. Wir vervollständigen keine Jahrtausende alte Sätze, die immer und immer und immer wieder gesprochen und von der Gemeinde beantwortet werden.

Es gibt Handbücher, die das Gemeindeleben regeln sollen. Diese sind an manchen stellen sehr genau (z. B. im Umgang mit Kindesmisshandlung) meistens aber nur ein Leitfaden, der dem Gemeindeleiter helfen soll wichtige Aspekte einer Sache nicht ausser acht zu lassen, aber immer wieder darauf abziehlt, den Bischof in die Situation zu versetzen im Gebet heraus zu finden, was in der jeweiligen Situation richtig und wichtig ist. Die Führung der Kirche ist auf diese Weise in die Hand von Jesus Christus gelegt, und wird durch seine Diener hier auf der Erde durchgeführt.

So gibt es z. B. einen Abschnitt um Handbuch über den Ablauf eines Gottesdienstes. Darin steht ein "Vorschlag" wie die Versammlung aufgebaut sein kann, und welches Ziel diese Versammlung eigentlich hat. Der Bischof ist für den Ablauf der Versammlung verantwortlich und kann ihn nach Vorstellungen gestalten. Er legt also fest, wie sie ablaufen wird, wer sprechen wird, was für Musik gespielt und welche Lieder gesungen werden. Er kann also die ganze Zeit alleine sprechen, oder er kann beliebig viele Mitglieder sprechen lassen, er kann sie frei sprechen lassen, oder ihnen ein Thema geben, er kann so viele Lieder singen wie er will, oder auch gar keins, oder Familien die Gestaltung überlassen, oder den alten Menschen.

Er übergibt die Versammlung auch schon mal den Kindern (das nächste mal übrigens mitte November) und dann werden die Mitglieder von ihren Kindern über das Evangelium Gottes belehrt. Dies ist (bei allen Einflüssen die die Lehrer der Kinder auch haben) eine erstaunlich geistige und tiefgreifend göttliche Erfahrung. Denn die Kinder tun oft nicht das, was geplant war, sondern sprechen überwiegend das aus, was sie im Herzen bewegt. Die Aussage "Werdet wie die Kinder" bekommt da eine handfeste Grundlage.

Der Bischof ist der Leiter der Gemeinde, und wird aus den Reihen der Mitglieder für einen begrenzten, aber nicht definierten Zeitraum, eingesetzt. Im groben kann man sagen, das ein Bischof seine Aufgaben für 4 bis 6 Jahre ausübt, dann wird jemand anderes Leiter der Gemeinde. Er wird für seine Arbeit nicht bezahlt (niemand wird in der Gemeinde für seine Arbeit bezahlt) und wer es schon mal gemacht hat wird bestätigen, dass man sehr viel Zeit investiert, aber auch sehr viel geistige Hilfe bekommt.

Die katholische Kirche, der ich bis zu meinem 26. Lebensjahr angehört habe, ist mir wie ein Straflager für Menschen vorgekommen, denen gesagt wurde, dass es einen Gott gibt, und das er sehr böse auf mich ist, weil ich so viele Fehler mache. In der Kirche Jesu Christi bin ich von Menschen umgeben, die wie ich erkannt haben, das Gott ein liebender Vater ist, und in der wir uns gegenseitig dabei unterstützen Fortschritt zu machen. Das gelingt mal gut, mal weniger gut. Wir sind halt Menschen. Aber das Ziel ist es, einen Menschen positiv zu stützen, zu helfen und aufzubauen. Nicht ihn zu bestrafen oder ihm Angst zu machen. Wir haben auch kein Kreuz in unseren Gemeindehäusern. Jesus lebt. Warum ihn tot darstellen?

Wenn es nur die anderen Kirchen gegeben hätte, dann wäre ich heute noch Deiner Meinung.

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Hm,
offenkundig müht sich Deine Glaubensgemeinschaft, viele der strukturellen Mängel anderer Kirchen nicht zu reproduzieren. Das ist extrem lobenswert, macht sie in meinen Augen aber nicht unbedingt zur wahren und alleinseligmachenden Adresse. Ich sehe zu den einigen Einsichten und Auffassungen, die mir zuteil wurden, nach wie vor entscheidende Differenzen zu Inhalten, die Deine Kirche vertritt. Gleichwohl muss ich auch sagen, dass ich dank Deiner Einlassungen so manche falsche Vorstellung zu den Akten legen konnte (und damit meine ich jetzt nicht diese alte Kiste mit der Vielweiberei).

Bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich nach wie vor davon aus, dass Jesus eigentlich gar nicht im Sinn hatte, als Religionsstifter oder Kirchengründer in die Geschichte einzugehen - auch wenn es später von interessierter Seite so dargestellt worden ist. Es muss dem Ziel, die irdischen Prüfungen zu bestehen, und sich für kommende Levels zu qualifizieren, nicht abträglich sein, sich einer Gemeinschaft anzuschließen, zwingende Teilnahmebedingung ist es nicht.

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"Es muss dem Ziel, die irdischen Prüfungen zu bestehen, und sich für kommende Levels zu qualifizieren, nicht abträglich sein, sich einer Gemeinschaft anzuschließen, zwingende Teilnahmebedingung ist es nicht."

Ja. Gebe ich Dir ohne Einschränkung Recht. Ausser es findet sich in den Geboten wieder. Versuche mal rauszufinden, warum sich Jesus hat taufen lassen. Er war der Gründer und Gott der Kirche. Trotzdem hat er einen Grund angegeben, dem auch er sich nicht wiedersetzen will. Und er hat jemand bestimmten ausgewählt für seine Taufe. Ach, das geht alles noch viel viel weiter. Was da von vielen als Erkenntnis aus der Bibel bezeichnet wird, ist nicht mal nur der Staub auf der Oberfläche, die kaum angekrazt ist.

Ich möchte diese Erkenntnis-Entwicklung mal mit etwas anderes vergleichen. Für die meisten Menschen ist ein Mischpult in einem professionellen Tonstudio eine riesige Maschine, massiv viel Kabel hinten und oben raus und wahnsinnig viele Regler zum drehen und schieben, manche davon mit einem weiteren Ring, also Doppel-Potentiometer, und natürlich noch ein Wald mit Schaltern. Wer blickt denn da schon durch? Wer kann da den Überblick behalten? Wer kann so einen Koloss beherrschen (und ein Seitenblick fällt auf das Rack daneben, in dem Effektgeräte und andere Audiobearbeitungsgeräte übereinandergestapelt stumm vor sich hin blinken). Wer sich aber mit dem Aufbau eines Mischpultes beschäftigt wird sehr schnell merken, dass er sich nur ansehen muss, was die Regler in einer senkrechten Reihe so tun. Denn die Reihe daneben, und die daneben und so weiter, ist identisch! Wer also eine Reihe versteht, dem eröffnet sich eine völlig neue Sicht auf dieses Reglermonster. Ich behaupte, wer einmal diese Erfahrung gemacht hat, sieht Mischpulte anders als die, die sich nicht damit beschäftigt haben (aus welchem Grund auch immer, inklusive Desinteresse). Ist also die erste Hürde genommen, kommen aber weitere spannende Themen; Effekt-Insert vor oder nach dem Fader? Parametrische oder grafische Klangregelung? Symetrische (XLR) oder unsymetrische (Klinke) Eingänge? In welcher Reihenfolge werden Effekte geschaltet (mit Hall in ein Echogerät, oder mit Echo ins Hallgerät?). Es ist ein Universum, und wer sich nicht damit auseinandersetzt, wird den Zugang nicht bekommen. Er wird weiter behaupten, dass solche Pulte unbeherrschbar sind (und sollte eigentlich wissen, dass alles, was aus dem Radio kommt, durch solche Teile ging!) Ich hoffe, es ist verständlich was ich meine.

Die Bibel ist ein Buch, das sich vielen versperrt (mystische Geschichten von Krieg, Unzucht, Mord und viel wirres Zeug), das aber nach und nach seine Geheimnisse preis gibt, wenn man sich mit der Materie ernsthaft beschäftigt. Selbst der Grund für die anfängliche Sperre wird einem mit der Zeit klar. Hier ist übrigens eine vertrauenswürdige Kirchengemeinschaft sehr von Vorteil, weil wenn sich jeder selber und alleine da durch beißt, dauert es ziemlich lange. In der Gemeinschaft lernt es sich eben schneller. Das Buch Mormon, von uns als weiterer Zeuge für Jesus Christus bezeichnte, ist da übrigens in vielerlei Hinsicht einfacher zu lesen und zu verstehen, ohne von der Richtung der Bibel abzuweichen.

Wenn Du aber den Beweis eines Gegenteils verlangst glaubst Du nicht. Das ist per se erst mal nicht als falsch anzusehen. Aber sieh mal nach, was in der Bibel über den Glauben gesagt wurde. Vor allem von Jesus.

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Nun,
zunächst mal muss ich (aus Gründen, die im einzelnen darzulegen mir leider die Zeit fehlt) davon ausgehen, dass die Bibel nicht 1:1 überliefert, was Jesus sagte. Es gilt in der Bibelforschung als relativ sicher, dass bestimmte Passagen nachträglich eingefügt worden sind, es gibt aus diesem Grund interne Widersprüche zwischen angeblichen Aussagen Jesu - und es gibt die apokryphen und pseudepigraphischen Schriften, die etwas andere Facetten zu meinem Gesamtbild beisteuern. Es gibt gnostische Überlieferungen, die von den Amtskirchen jahrhundertelang aufs Heftigste bekämpft wurden, weil die die Fundamente der Kirchenregimes angriffen. Diese Schriften ziehe ich ebenso zu Rate wie das alte und neue Testament, und da bietet sich mir halt ein etwas differenzierteres Bild, zu dem nebenbei bemerkt auch einige Aspekte dazugehören, die eher okkulten Traditionen und auch fernöstlichen Traditionen zuzuordnen sind. Schon allein, dass sich die Wahrheiten, die sich mir darbieten, aus zum Teil so unterschiedlichen Quellen speisen, macht die Frage nach der richtigen Kirche eigentlich ziemlich witzlos. In einer Glaubensgemeinschaft lernst Du vielleicht schneller, das zu glauben, was auch die anderen Mitglieder glauben. Ob Dich das der Wahrheit (oder dem Teil der Wahrheit, der für Dich persönlich bestimmt ist) groß näherbringt, ist damit nicht allgemeingültig gesagt. Das kann so sein, muss aber nicht.

Wenn Du aber den Beweis eines Gegenteils verlangst glaubst Du nicht.

Leg diese Redewendung nicht auf die Goldwaage, ich glaube schon ziemlich fest, gestehe mir aber zu, dazuzulernen und zu erkennen, dass ich den einen oder anderen Punkt vielleicht doch nicht im richtigen Licht gesehen habe.

Warum Jesus sich hat taufen lassen, tja, ich denke mal, in erster Linie ging es dabei um eine symbolische Handlung, eine, die einen Neuanfang, eine Wiedergeburt symbolisiert. Dass Jesus (den ich übrigen nicht im landläufigen Sinne für Gottes Sohn halte) dieser Geste im spirituellen Sinne eigentlich nicht selber bedurfte, liegt ja auf der Hand. Er hat erkannt, dass die Masse Zeichen und symbolische Handlungen braucht ("Folgt der Flasche!" - "Nein, er hat uns die Sandale als Zeichen hinterlassen - folgt der Sandale!"), und nachdem Johannes der Täufer am Jordan bereits predigte und taufte udn die Ankungt des Messias predigte, blieb Jesus wenig anderes üblich, als sich damit zu legitimieren. Um eine Kirche, eine Institution, ging es dabei überhaupt nicht. Diesen Aspekt haben später erst die Apostel und Jünger (allen voran Paulus) schwerpunktmäßig herausgestellt. Aber dazu lohnt es sich mal, auch die Darstellung in den Apokryphen zu lesen, die diesbezüglich andere Schwerpunkte setzt.

Was das Buch Mormon angeht, muss ich bekennen, dass ich damit massive Schwierigkeiten habe. Ich habe den Koran (in Übersetzung), ebenso Torah und Talmud, Veden und sonstwas gelesen, was irgendwem auf der Erde als heilige Schrift gilt. Und bei keiner dieser vorgeblich heiligen Schriften hatte ich über weite Strecken so massiv das Gefühl, mich durch platten Mist und Schwulst ohne theologischen Tiefgang kämpfen zu müssen wie im Buch Mormon mit seinen ewigen öden Hin- und Her-Gemetzeln zwischen Nephiten und Lamaniten. Es gibt ein paar interessante Kapitel vor allem am Schluss (Moroni & Co.) oder den Teil, wo Jesus angeblich in Amerika auftaucht. Aber es würde meinem Christus-Bild mehr oder weniger gar nichts fehlen, wenn ich dieses Buch nicht vor Jahren aus einer Sperrmüll-Kiste in der Nachbarschaft gefischt hätte.

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Ich weiß nicht, ob ein Drittgläubiger, also ein Katholik, ein Heide oder ein Moslem mir beispringt und klar ausspricht: Ich sehe "christliche Prinzipien, eingefasst in Regeln, Traditionen und Handlungen", bei den Protestanten des Herrn Würg geringer ausgeprägt als den Mormonen des Herrn Götzeclan.

Ich weiß, es kommt der Nachsatz mit den Einschränkungen der Regeln auf solche, die "nur wenig mit den Prinzipen zu tun haben, auf denen sie eigentlich bauen sollten." Und es lugt schon die Selbstverständlichkeit hervor, daß die Mormonen nur begründeten Lebenshilfen folgen, die Protestanten aber willkürlichen Vorschriften.

Wir haben einen Altar, um den ich auch rumlaufen darf, wenn ich keine weiße Unterwäsche anhabe. Wir stehen auf, wenn es angezeigt ist. Das ist eine Übereinkunft, kein Glaubensprinzip. Im täglichen Leben steht man auch auf, nimmt den Hut ab und legt das Buch zur Seite. Die Hände falten und auf die Knie fallen muß bei uns keiner.

Es ist keiner gezwungen mitzubeten, sich irgendetwas einfallen zu lassen, um als vollwertiger Gemeindechrist durchzugehen. Auch vor dem Abendmahl muß keiner viel plappern wie die Heiden. Es reicht das Vaterunser, gleichwohl man sich als Protestant zumeist auch zum Glaubensbekenntnis durchringt.

Auch der evangelische Pfarrer ist frei in der Gestalötung des Gottesdienstes. Übertreibt er, hilft im keine Ableitung aus der Bibel. Im Ernstfall muß er dem Kirchenvorstand folgen oder sich ein neues Betätigungsfgeld suchen. Ich persönlich halte eine Standardordnung für hilfreich und singe nicht mit, wenn gelangweilte Organisten eine selbstgebastelte Liturgie begleiten.

Ein Handbuch gibt es nicht. Man kann sich an die Bibel, den kleinen, großen oder Erwachsenen-Katechismus halten. Durchs Leben gegängelt wird keiner. Willkür wird nicht mit Jesus gerechtfertigt. Keiner muß machen, was der Pfarrer im Gebet glaubt vernommen zu haben, obgleich er über viele Jahre Erfahrung in der Seelsorge verfügt, denn er übt seinen Beruf zumeist lebenslang aus. Nur so rechtfertigt sich eine solide Ausbildung.

Geheizt wird die Kirche für die Alten, die Kinder aber kommen auch zu Wort, nicht nur im Krippenspiel. Jeder darf werden oder bleiben wie ein Kind. Ich aber halte es mit 1K13,11: "Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war."

Herr Götzeclan, gerne ziehe ich mit Ihnen in den Kampf gegen die Erbsünde, die Götzenanbetung, das Zölibat, die Dogmatik, die magische Wirkung der Sakramente und den Pomp der katholischen Kirche, doch lasse ich das nicht in einem Halbsatz auf alle christlichen Gemeinschaften übertragen.

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Dumm?
Kenne diesen Shermer nicht, kann mich also nur auf das obige Zitat berufen. Und darin vertritt der Mann lediglich die Auffassung, dass es keinen Gott im Sinne der Weltreligionen gibt und dass er eben rational nicht verstehbar sei.

Interessant ist auch, dass er von einem Seinszustand des Transzendenten spricht.

Ausgesprochen anregend, das Zitat. Sorry, aber weshalb dessen Inhalt "dumm" sein könnte, ist mir nicht klar, genauso wenig wie Ihre Antwort auf @mark793, ganz oben im Kommentar-Strang.

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