Dienstag, 26. Februar 2008
Glaube und Verstand
In einem Kommentar zu einem anderen Beitrag schrieb Mark793:

„Wer glaubt, dass das rhythmische Zurück-und Vorbewegen der Paddel im Wasser die Wassergeister dazu bringt, mein Boot zu schieben, den werde ich womöglich mit den schönsten und plausibelsten Worten der Welt nicht davon überzeugen können, dass das Rudern in meinem Modell auch durchaus ohne die Zuhilfenahme von Wassergeistern funktioniert.“

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Mark, ich glaube da verallgemeinerst Du etwas. Der Wassergeistergläubigen Besatzung kann der Zusammenhang zwischen Paddel, Wasser und der Bewegung des Bootes anhand von überprüfbaren Naturgesetzten und jederzeit wiederholbaren Experimenten erklärt werden. Wenn Du sagtst, dass das möglicherweise alles nichts fruchten wird, sagt das was über den Geisteszustand der Besatzung aus, aber nicht über Glauben.

Wäre es so, dann müssten alle „Gläubigen“ in psychologischer Behandlung. Sicherlich wäre es ratsam, dass einige der Menschen die Glauben genau so eine Form von Zuwendung mal bekommen, und Glaubensgegner behaupten ja genau das Gläubige Plemplem sind. Aber alle?

Wer Glaube nur aus der Sicht der Welt und mit den Mitteln der Welt betrachtet, wird niemals einen Zugang zum Glauben bekommen. Er wird niemals verstehen oder sich vorstellen können, was andere Menschen meinen, wenn sie sagen, sie „glauben“. Das was die Bootsbesatzung da zelebriert ist auch kein Glaube. Es ist Festhalten an einer falschen Vorstellung. Weltliche Intelligenz behauptet, die meisten Geheimnisse der Gläubigen erklärt zu haben (z. B. wie es sich mit Booten, Paddeln und Wasser verhält, um bei dem Beispiel zu bleiben) und ist so unvorsichtig anzunehmen, dass der Rest auch noch kommt. Wir werden sehen.

Glauben geht über den Verstand hinaus. Im Idealfall ergänzt Glaube den Verstand. Gläubige Menschen erkennen etwas, das ausserhalb der Welt ist, und mit den weltlichen Mitteln nicht bewiesen werden kann. Dieser Umstand ist Quelle für viele Ansatzpunkte, um Glauben als Dummheit, Verblendung oder Illusion hinzustellen. Nur der, der sich über diese Argumente hinaus mit Glauben beschäftigt, wird verstehen was damit gemeint ist. Wer am Weltlichen festhält, dem wird Glauben verschlossen bleiben.

Ich habe Glauben als Möglichkeit akzeptiert und bin mit einer Erfahrung belohnt worden (und werde es immer noch) die über alles weltlich beweisbare hinausgeht. Ich weiß, das es keine Wassergeister gibt. Ich weiß aber, wer das Wasser, das Holz für die Paddel und mich und die anderen um mich herum geschaffen hat.

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Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch, Herr Götzeclan: der nachfolgend verlinkte Text soll keine subtile Beleidigung sein. Ich finde, es ist mit eine der interessantesten Predigten, die in Bezug auf Erkennen und Wissen in Bezug auf "Gott" gehalten wurden: Meister Eckhart, Beati pauperes spiritu.

Im Übrigen glaube ich auch nicht, dass der Glaube (jedenfalls so, wie ich denke, dass Sie diesen Begriff benutzen, und wenn ich mich nicht irre, dann ist Glaube bei Ihnen mit einem Wissen um die Existenz Gottes verbunden) über den Verstand hinaus geht - bestenfalls transzendiert er ihn, will sagen: macht ihn dessen bewusst, dass seine Konzeptualisierung von Welt eben nur eine Konzeptualisierung und nicht die Welt/das Sein/Gott ist. Beziehungsweise: wenn, wie Sie sagen, Gläubige das göttliche Etwas nur außerhalb der Welt erkennen können - ist Gott dann etwa nicht von dieser Welt?

Ich glaube, wirklich gläubige Menschen können Gott niemals von sich aus erkennen, denn sie werden schon so vollständig von "Gott" erkannt, dass nichts mehr von ihnen übrig bleibt, was irgendetwas anderes erkennen könnte, und zwar genau hier, in dieser Welt. Dort allerdings, so vermute ich jetzt mal, haben Argumente tatsächlich etwas amüsantes, und wer dann noch an einem Glauben festhält, der dem Gläubigen Gott und die Welt erklären soll, dem bleiben Gott und die Welt verschlossen.

(Ich habe mir übrigens einige der von Ihnen verlinkten Mormonentexte mit großem Interesse durchgelesen; was mich dabei sehr erstaunt hat, das war die Art und Weise, wie sich Joseph Smith in das biblische Geschehen hinein- und, dort angekommen, weiterschreibt. Ich fand es ehrlich gesagt sogar etwas verdächtig, dass er den "Urim" und "Tummim" auf einem Hügel von beträchtlicher Größe gefunden haben möchte. Hügel in der Bibel ja immer Zeichen für die Nähe der Personen zu Gott, Golgatha, Bergpredigt, Mose etc. Und überhaupt Mose: mehr als einmal hatte ich den Eindruck, dass Smith sich als einen Mose der Neuzeit betrachtet, dass er, um sich als Prophet zu legitimieren, viel von ihm und seiner Geschichte übernommen hat.)

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Eigentlich hatte ich gehofft,
dass der Schluss des Kommentars so verstanden werden würde, dass ich Glauben und Verstand nicht gegeneinander ausspielen möchte. Ich habe ja auch nie behauptet, das Erklärungsmodell inklusive der Wassergeister müsse zwingenderweise falsch sein. Aber es liefert einen schönen Ansatzpunkt für Ockhams Rasiermesser. William von Ockham, einem sehr frommen und gelehrten Manne, ging es dabei nicht primär um die Unterscheidung zwischen wahr und falsch, sondern um plausibel vs. unplausibel. Und das war für das damalige Mittelalter schon ziemlich revolutionär und seinen Zeitgenossen um Jahrhunderte voraus.

Rene Descartes, von dem nicht nur "ich denke, also bin ich" überliefert ist, hat auch den Satz geprägt, "der Zweifel ist aller Weisheit Anfang". Das - mitsamt seinem ziemlich mechanistischen Weltbild - hat ihn aber nicht davon abgegalten, an einen Schöpfergott zu glauben.

Und andere sehr kluge Menschen haben sich Gedanken darüber gemacht, wie man auch extrem unplausible Annahmen für wahr halten kann. Hierfür ist der Kirchenlehrer Tertullian der Experte:

Certum est, quia impossibile" ("Es ist sicher, weil es unmöglich ist.") - Über die Auferstehung. Gemeint ist: Etwas derart jeder Erfahrung Spottendes wie die Auferstehung Jesu Christi wäre niemals von den ersten Jüngern geglaubt worden, wenn sie es nicht tatsächlich erlebt hätten. Daraus wurde im 17. Jahrhundert der oft zitierte Satz: "Credo quia absurdum [est]" ("Ich glaube, weil es widersinnig ist").

Ich würde soweit gehen, dass ich durchaus bereit bin, die eine oder andere Absurdität zu glauben. Aber nicht jede. Und schon gar keine, die ich mit dem Rasiermesser so einfach wegsäbeln kann ohne dass die Plausibilität leidet. Wenn ich also mit meinem Wissen und Verstehen am Ende bin, bleibt noch weiß Gott genug zum Glauben übrig.

Nachtrag: Ups - hatte beim Schreiben ,meines Kommentars nicht gesehen, dass Du schon was dazu geschrieben hast. Daher wird Dir vielleicht der direkte Bezug auf Deinen Punkt fehlen - aber er ist ansatzweise durchaus vorhanden.

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